Der Roman "Die Entpuppung."
von Aicha Lemsine wird mit "Ein Entwicklungsroman" untertitelt.
Dieser Titel machte mich neugierig - er hätte mich warnen sollen.

Beschrieben wird die Geschichte der Khadidja in Algerien am Beginn des letzten Jahrhunderts. In einer arrangierten Ehe lebend findet sie sich nicht mit ihrem Schicksal ab, stellt in Frage und ermöglicht letzten Endes ihrer Stieftochter Faiza das Studium und ein Leben ohne Schleier.
Dies ist wohl nur möglich, weil ihr Ehemann dies zulässt. Der Entwicklungsroman referiert eine Ansammlung von Wundern, die vor dem Hintergrund der geschilderten gesellschaftlichen Pflichten und
Erwartungen nur schwer nachzuvollziehen sind. Das der Weg Khadidjas und Faizas nur dadurch möglich ist, dass ihre Forderungen vom Ehemann bzw. Vater erfüllt werden, wird nur wenig beleuchtet. Als
er feststellt, dass seine Tochter unehelich schwanger geworden ist, "... hatter er sie lange angeschaut, seine Gesicht wurde blaß, sein Bart zitterte leicht und seine ersten Worte waren: Kannst
Du in diesem Zustand studieren, meine Tochter?"
Von einem Entwicklungsroman verspreche ich mir, Beweggründe und Begründungen für eine Entwicklung zu verstehen. Dies leistet der Roman nicht. Wer etwas über das ländliche Leben in Algerien -
beginnend 1930, endend 1970 - lernen möchte, dem sei die Lektüre des Buches und etwas Langmut empfohlen. Den braucht es, um den Text zu Ende zu lesen.
Wer hingegen eine Entwicklung von Gedankenwelten von Frauen und Männern und die In-Frage-Stellung von bestehenden Systemen erhalten möchte, ist mit diesem Entwicklungsroman nicht geholfen.