Der durch die Drehbücher für "Heimat" (mit Edgar Reitz) und "Herbstmilch" bekannte Drehbuchautor Peter Steinbach, geboren 1938 in Leipzig, hat seinen ersten Roman veröffentlicht: "Heute für Geld und morgen umsonst".
Dieser handelt von den letzten Kriegsmonaten in Leipzig bis zum Einzug der Amerikaner aus der Sicht des zehnjährigen Osvald. Osvald Mutter hat jüdische Wurzeln, und wären nicht die kriegswichtigen Forschungen seines Vaters, wären er und seine Mutter sicher bereits deportiert.
Direkt und kindlich verworren berichtet Osvald von seinem Alltag. Er darf nicht zur Schule, und schlimmer noch: er darf das Grundstück nicht verlassen. Osvald lebt in Quarantäne. Den Grund hierfür versteht er nicht richtig.
Und so macht er immer mal wieder Ausflüge in die Welt der anderen, die er auch nicht versteht. Ihm begegnet Mitleid, aber auch eine Feindlichkeit, die er nicht einordnen kann. Er legt sich seine Wahrheiten zurecht, und er diesen Wahrheiten wird mangels Gesprächspartner selten widersprochen.

Der kleine Mikrokosmos Familie - von außen bedroht von den Nazis und von den englischen Fliegerbomben - ist für Osvald nicht einfach zu verstehen. Denn die Ehe seiner Eltern funktioniert nicht gut. Und so ist dieses Buch nicht nur eine bedrückende Schilderung der Kriegserlebnisse eines Zehnjährigen, es ist auch die Schilderung eines Kindes, der seine Eltern und deren Umgang miteinander nicht versteht.
Vier Monate vor der Befreiung wird es dann für die Familie noch gefährlicher. Ein Umstand, den Osvald nicht richtig nachvollziehen kann. Dennoch fügt er sich. Die Mutter und das neugeborene Geschwisterchen trennen sich von Osvald. Dieser wird von einem Bäcker versteckt. Osvalds Welt wird noch enger, gleichzeitig erlebt er mehr - zumindest beobachtend.
Die letzten Tage vor dem Einzug der Amerikaner verlaufen für Osvald dramatisch. Diese Tage sind geprägt von Fahnenflucht und den letzten barbarischen Taten der Nazis.
Gerade diese Textpassagen sind sehr authentisch. Der Leser fragt sich, wie viel Autobiographisches den Zeilen innewohnt. Die Spannung des Texts ist hoch, und man sieht mit Osvald den Amerikanern entgegen.
"Heute für Geld und morgen umsonst" (Kiepenheuer & Witsch, EUR 18,99) ist ein schnell gelesenes Buch, das lange nachwirkt. Denn die Fragen, die Osvald auf seine Art stellt, bleiben auch für uns bestehen. Wir sollten eine Antwort geben können.
Dieser Blog-Post ist ein privater Beitrag von Judith Andresen.
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