Gegen Chaos und Diziplinschwierigkeiten ist man als Lehrer ganz natürlich. Und dankbar für jeden Ratschlag, jedes Buch und jedes Rezept gegen eben jenes (mögliche) Chaos und (auftretende) Diziplinschwierigkeiten in der eigenen Klasse.

Jonas Lanig veröffentlichte im Verlag an der Ruhr ein Buch, welches 30 Methoden und Projekte für mehr Eigenverantwortung in der Klasse bieten soll.
Um eines vorwegzunehmen, das Buch ist bei mir nicht gut angekommen. Das liegt offensichtlich an einer unterschiedlichen Einschätzung des Autoren und mir über die Ursachen und die Behandlung von
Diziplin-Problemen in der Klasse.
Der Autor erklärt im Vorwort über Strafen: "Kurzen Prozess machen, das bedeutet aber auch: sich einer wirklichen Auseinandersetzung zu entziehen. Viele Schüler sind es von zu Hause her gewohnt,
dass Konflikte im Hauruck-Verfahren entschieden werden. Sie haben Anspruch darauf, in der Schule mit einem geduldigeren, zeitaufwändigeren Konfliktmodell konfrontiert zu werden."
Ich gehe mit dem Autoren konform, dass Schüler lernen müssen, warum ihr Verhalten von Mitschülern und der entsprechenden Lehrkraft empfunden wird. Ich stimme ebenfalls überein, dass auf
Fehlverhalten reagiert werden muss. Dies sollte aber in meinen Augen unmittelbar und klar erfolgen. Hier zeigen sich schon andere Auffassungen bei dem Autoren des Buches, da er Rückmeldungen zum
Teil auf den Nachmittag bzw. auf den Folgetag verschiebt.
Gleichzeitig stimme ich auch überein, dass viele Schüler nicht in der Lage sind, ihr eigenes Fehlverhalten auf den ersten Blick erkennen. Worin ich nicht übereinstimme, ist es, der Behandlung von
Störungen in der eigentlichen Schulstunde (zum Teil) einen so großen Raum zu geben.
Der Autor bietet mehrere Methoden an, die Eigen- und Fremdwahrnehmung von Schülern zu stärken. Die Auswahl ist vielfältig: Lärmprotokolle, Methodenanalysen, Klassensignale bei zu großem Lärm
("blaue Karte"), Bullshit-Bingo (in einer etwas anderen als der von Vorstandssitzungen bekannten Form). Hier gibt der Autor einige schöne Methoden an, die die Rückmeldung über als störend
empfundenes Verhalten auf die Mitschüler übertragen. Auf diesem Weg wird Schülern deutlich, dass ein gutes Unterrichts-/ Klassenklima nicht alleine vom Lehrer abhängt, sondern von der gesamten
Gruppe geprägt ist.
Eine Reaktion und im Zweifel das Ausdiskutieren des diziplinarischen Patzers wird dabei bei vielen Methoden Vorrang vor dem eigentlichen Schulunterricht gegeben. Hier wünschte ich mir die
Möglichkeit, dem Schüler unmittelbar zu sagen: "So geht es nicht", ohne gleichzeitig den Unterrichtsverlauf zu unterbrechen. Der Verlust an "echter Lernzeit" wird durch eine lange Reaktion auf
eine aufgetretene Störung nur noch größer.
Als Rückmeldeform das Handy (SMS) zu wählen, halte ich für falsch. Wer die Verwicklungen von SMS-Korrespondenz erlebt hat, wird davor zurückschrecken, diesen Weg zu gehen. Schon in der
Vier-Augen-Situation wird beiweiten nicht immer das Wort so verstanden, wie es gemeint war; die Verkürzung von Inhalten per SMS macht die Gefahr, dass Aussagen falsch verstanden werden, noch
größer. Mit diesem Kommunikationsmittel soziales Verhalten zu diskutieren halte ich schlicht für unmöglich.
Der Autor stellt fest, dass Strafen Vertrauen kosten. Ja, das stimmt. Lehrerverhalten kostet Vertrauen, wenn es nicht berechenbar und die Reaktion unberechtigt ist. Daher ist es für ihn in
Ordnung, wenn Schüler Gesprächsangebote nicht annehmen. Der Autor plädiert für Geduld. Eine Verhaltensänderung wird sich schon beizeiten einstellen. Das ist mir zu wenig.
Deutlich ist mir noch die Lektüre des Buches "Bei STOPP ist Schluss" im Kopf. In diesem Buch wird eine Gesamtstrategie zur Klärung von Diziplin-Problemen und
dem Erlernen sozialer Kompetenz aufgezeigt. Jonas Lanigs Buch zeigt viele Einzelmethoden, deren Zusammensetzung nicht generisch erscheint. Seine Strategie endet immer am Aufzeigen von
Fehlverhalten: entweder durch die Lehrkraft, durch den Schüler oder durch Mitschüler. Eine Verhaltensänderung kann an diesem Punkt nur einsetzen, wenn die grundsätzlichen Regeln zum sozialen
Miteinander bekannt und anerkannt sind.
In meiner Wahrnehmung ist gerade dies nicht immer gegeben. Wie solche Regeln implementiert werden können, klärt der Autor des Buches "So geht das! Gegen Chaos und Diziplinschwierigkeiten"
nicht.
Insofern ist mir die Idee des Projektes "Bei STOPP ist Schluss" näher. Das Jonas Lanigs Buch könnte begleitend zu einem solchen Projekt als Ideen-Spender für Projekt- oder Evaluationstage dienen.
Dafür vielleicht, zu mehr wohl nicht.