In Verantwortung gehen heißt den Ball im Spiel zu halten.
- Judith Andresen
- vor 28 Minuten
- 4 Min. Lesezeit

Es ist nicht immer ganz leicht, den Ball im Spiel zu halten. Manchmal ist er rutschig, manchmal unerwartet schwer zu halten, manchmal schwingt er mit, manchmal vergrößert er einfach die Größe - die Eigenschaften des Balls sind für ungeübte Spieler*innen nicht leicht zu erfassen. Denn der Ball reagiert auf das Umfeld – und auf die Mitspieler*innen.
Der Ball + das Spiel ist die Verantwortung für eine Aufgabe + deren Prozess.
In klassisch-hierarchischen Organisationen liegt dieser Ball meist bei Führungskräften. Sie tragen ihn - manche der Spielkompetenzen sind offensichtlich, manche Fähigkeiten rund um den Ball sind nicht leicht zu erfassen + zu erkennen.
In agilen Transitionen wandert der Ball von der Führung in die selbstorganisierten Teams. Das elfte Prinzip hinter dem agilen Manifest sagt:
The best architectures, requirements, and designs emerge from self-organizing teams.
Die Ballübergabe gelingt nicht dadurch, dass Führung den Ball einfach loslässt und die selbstorganisierten Teams diesen direkt aufnehmen + sofort ein perfektes Spiel liefern.
Der Ball wird übergeben – bewusst, achtsam, in Blickkontakt. Und wer ihn übernimmt, sammelt ihn nicht einfach vom Boden auf, sondern er*sie sorgt dafür, dass der Ball im Spiel bleibt.
Was heißt es, in Verantwortung zu gehen?

„In Verantwortung gehen“ heißt: Ich nehme den Ball. Ich halte ihn im Spiel, achte darauf, dass er nicht fällt – und sorge dafür, dass das Spiel weiterläuft - verlässlich, kraftvoll, sinnvoll. Ich bin nicht nur dabei. Ich bin drin. Und das freiwillig.
Es ist eine Entscheidung, sich auf diese Rolle im Spiel einzulassen – mit allem, was dazugehört: Unsicherheit, Konsequenzen, Veränderung. Verantwortung ist kein Titel, es ist kein Formular. Es ist ein inneres Ja zur eigenen Wirksamkeit. Viktor Frankl hat das einmal so beschrieben:
„Der Mensch ist nicht frei von Bedingungen – aber er ist frei zur Stellungnahme.“
In Verantwortung zu gehen, ist genau das: Ich beziehe Stellung. Ich bin bereit, zu handeln – und den Ball zu tragen.
Verantwortung entsteht im Zusammenspiel

Im systemischen Denken ist Verantwortung nichts, das man einfach „hat“. Sie entsteht im Kontakt. Ich kann Verantwortung anbieten – aber ob sie angenommen wird, entscheidet das Miteinander.
Genau das geht in agilen Transitionen manchmal schief. Führung erklärt, dass sie die Verantwortung loslassen... und dann fällt der Ball zu Boden und aus dem Spiel.
Während agiler Transition ist die große Aufgabe, dass Bälle von den bisherigen Spielmacher*innen, meist Führungskräften, auf selbstorganisierte Teams übergehen.
Das kann dazu führen, dass mittendrin im bewegten Spiel stehenbleibt und einen Ball anbietet. Und alle anderen starren diesen Ball an: "Wo kommt der denn jetzt her?"
Was hilft, ist ein klares Anspielen. Eine echte Übergabe. Und ein gemeinsames Gespräch: „Fühlt Ihr den Ball?“ und: „Kann ich loslassen – habt Ihr ihn gut im Griff?“
Wenn selbstorganisierte Teams Verantwortung übernehmen, heißt das nicht nur: „Ich habe den Ball.“, sondern auch: „Ich sorge dafür, dass der Ball im Spiel bleibt.“
Verantwortung braucht Entwicklung

Nicht jedes selbstorganisierte Team kann jeden Ball sofort im Spiel halten. Das ist völlig normal. Verantwortung braucht Entwicklung – individuell und im Team. Gemeinsam in die Verantwortung zu gehen ist ein großes Feld. Was heißt es, dass wir gemeinsam auf den Ball + das Spiel achten? Wer ist wann am Ball? Wie geht die Ballübergabe? Müssen wir Spieler*innen einwechseln? Muss eine*r wie ein*e Trainer*in das Spiel im Blick haben - oder agieren alle zusammen auf dem Platz? entpuppen sich Balleigenschaften erst bei den ersten Spielen so richtig.dann ist die Frage. Dann ist die Frage: "Wie müssen wir uns neu aufstellen, damit wir den Ball nicht fallenlassen?"
Der Entwicklungspsychologe Robert Kegan beschreibt drei Haltungen, mit denen Menschen Verantwortung wahrnehmen:
Socialized Mind: Ich richte mich nach dem, was von außen erwartet wird.
Self-Authoring Mind: Ich übernehme bewusst Verantwortung, weil ich für etwas stehen will.
Self-Transforming Mind: Ich nehme Verantwortung auch für mein Denken, meine Muster, meine Wirkung.
Wer in Verantwortung geht, übernimmt nicht nur Aufgaben, sondern entwickelt auch eine Haltung zum Ballspiel: "Was macht ein perfektes Spiel aus?" + "Was ist mein Beitrag dazu?". Während agiler Transitionen entwickeln selbstorganisierte Teams gemeinsam diese Haltung.
Wenn die Ballübergabe funktioniert, dann arbeiten selbstorganisierte Teams an ihrem Spiel + der für sie passenden Art, den Ball zu halten. "Self-Transforming Minds" sind dann in Aktion.
Warum der Ball manchmal liegen bleibt

Es gibt viele Gründe, warum Verantwortung nicht übernommen wird. Manchmal fehlt der Mut, manchmal die Klarheit, manchmal die Übersicht und manchmal fehlt die Lust auf den Ball + das Spiel.
Oder die Führung sagt offiziell: „Ihr dürft den Ball haben“, meint aber innerlich: „Das ist schon ein fragiler Ball. Ich lasse den ungern los.“ + legt den Ball vorsichtig vor sich ab.
Damit nimmt die Führung den Ball aus dem Spiel. Der Ball liegt dann. Niemand holt ihn zurück ins Spiel. Und das spürt man: Entscheidungen stocken, Kommunikation reißt ab, Energie verpufft. In solchen Momenten hilft es, sich ehrlich zu fragen, wo der Ball gerade ist + wie der zurück ins Spiel kommen kann. Und Führung + selbstorganisierte Teams sollten sich zusammen die Aufgabe geben, den Ball aufzuheben + wieder ins Spiel zu bringen.
Wenn das gelingt, ist das nicht nur ein Schritt in Richtung Selbstorganisation – sondern ein echter gemeinsamer Lernschritt.
