Dr. Sabine Reichelt-Nauseef von der S´O´-Beratergruppe hat Judith Andresen, Expertin für agiles Arbeiten und Inhaberin der BERATUNG JUDITH ANDRESEN interviewt.
Themen des Interviews waren agile Methoden wie SCRUM und Kanban. Und die Frage, ob agiles Arbeiten nur für die Generation Y oder für bestimmte Change-Projekte passt.

„Agil ist DIE angesagte Projektmanagement-Methode!“, sagt Judith Andresen. Was ist aber überhaupt das agile Projektmanagement?
Es kommt aus der agilen Softwareentwicklung und wird nach Wikipedia als ein Ansatz beschrieben, der versucht, mit geringem bürokratischen Aufwand, wenigen Regeln und einem iterativ-inkrementellen Vorgehen auszukommen.
Es löst auch deswegen so viel Interesse aus, weil es viele klassische Annahmen im Arbeitskontext in Frage stellt. Veränderungen werden nicht als lästiges Übel angesehen, sondern begrüßt und aktiv aufgenommen.
Sabine: Judith, Du bist Inhaberin der „Beratung Judith Andresen“ und Expertin für agiles Projektmanagement. Wie bist Du eigentlich dazu gekommen?
Judith: Agiles Projektmanagement habe ich eigentlich schon betrieben, bevor ich wusste, dass es das gibt. Ursprünglich habe ich gelernt, in der Jugendarbeit Großgruppen zu moderieren und habe dann angefangen, studienbegleitend Web-Projekte zu leiten. Nachdem 2001 das „Agile Manifest“ erschien, habe ich gemerkt: „Super, das machen wir schon so.“ Das hat meine Praxis widergespiegelt.
Viele Prinzipien aus der Arbeit mit Großgruppen findet man auch in den Kernannahmen des agilen Arbeitens wieder, zum Beispiel aus der Open Space Methode: „Alle, die am Tisch sind, sind richtig.“ Das agile Manifest hat mir Worte für etwas gegeben, was wir intuitiv gemacht haben. Wie das klassische Projektmanagement eigentlich funktioniert, habe ich erst viel später mühsam gelernt. Also ein sehr individueller Weg...
Sabine: Was hältst Du für die treibenden Werte des agilen Projektmanagements?
Judith: Grundsätzlich würde ich eher von agilem Arbeiten als von agilem Projektmanagement sprechen. Es geht nicht nur um Projekte, sondern z.B. auch um die Unternehmenskultur. Die drei Grundwerte sind:
- Transparenz,
- Feedback und
- Selbstorganisation.
Agile Teams versuchen, sehr transparent über die Ziele, Zwischenstände und auch Fehler zu sein. Ein Prinzip der Teamarbeit sind„blameless post mortems“ – Wenn etwas schief gegangen ist, schauen wir es uns an, ohne jemandem die Schuld dafür zu geben. Es wird überlegt, was schief gelaufen ist und was wir tun können, damit das nicht noch einmal passiert. Dabei ist aber egal, wer die Schuld dafür hat. Es gibt also keine „Absicherungskultur“.
Ein agiles Team sucht aber immer nach Möglichkeiten, sich weiter zu verbessern. Um agil zu arbeiten, werden u.a. folgende Methoden eingesetzt, die den Sprint begleiten.
- In Sprint Planning Meetings wird erst das „Was“, dann das „Wie“ geplant.
- Im Daily StandUp, einem täglichen Meeting bringen sich alle gegenseitig auf den aktuellen Stand,
- im Sprint Review und in der Retrospektive werden die Ergebnisse und Erfahrungen evaluiert. Außerdem werden Wandzeitungen, je nach Ansatz auch Kanban- oder Scrum-Board genannt, auf verschiedene Arten analysiert.
Aufgaben jeder Art werden in verschiedenen Backlogs festgehalten. Es gibt also durchaus gewisse Regeln und Vorschriften im agilen Arbeiten.
Sabine: Da sehe ich eine hohe Übereinstimmung mit den Werten und teilweise auch den Methoden des systemischen Changemanagements. Was heißt das aus Deiner Sicht für die Führung?

Judith: Die Führung muss die Selbststeuerung von Teams fördern. Es gibt den Begriff des „servant leading“, also der dienenden Leitung. Das ist eine Herausforderung für das Management. Die Führung muss diskurs- und aufgabenorientiert sein, fragen: „Was kann ich für Dich tun, damit Du es schaffst?“
Viele klassische Managementaufgaben gehen in das agile Team über. Dadurch entscheidet das Team natürlich auch mehr. Damit das funktionieren kann, müssen sich aber alle auf gemeinsame Werte einigen.
Dann kann, beispielsweise mit der Methode des „Delegationspokers“, eine Verhandlung über das Ausmaß an Delegation von Aufgaben zwischen Führungskraft und Mitarbeiter stattfinden.
Sabine: Die Grundzüge des agilen Arbeitens scheinen für mich sehr mit den Charakteristika der Generation Y übereinzustimmen. Würdest Du sagen, dass sich das agile Arbeiten nur für diese Generation eignet?
Judith: Der Generation Y ist die agile Denk- und Arbeitsweise viel näher als allen anderen Generationen. Sie hat gelernt, stark in Netzwerken zu denken, auch die Karriere funktioniert über Netzwerke. Es liegt ihr näher, in fluiden, interdisziplinären Teams und weniger hierarchiebetont zu arbeiten. Andere Generationen sind von der agilen Arbeit mindestens fasziniert. Interessanterweise spüre ich auch eher bei erfahrenen Führungskräften eine tiefe Sehnsucht danach.
Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass die Generation Y an vielen Stellen mehr fordert, als sie eigentlich leisten kann. Sie hat viele implizite Annahmen über Hierarchien und den Ablauf von Entscheidungen. Häufig ist sie sich dieser nicht bewusst und fordert basisdemokratische Entscheidungen. Wenn es jedoch hart auf hart kommt, verlangt sie „es müsste jemand entscheiden...“.
Sabine: Was für ein Mensch sollte man denn selbst sein, wenn man das agile Arbeiten als Berater/in in einer Organisation einführen möchte?
Judith: Man benötigt viel Verständnis dafür, wie Menschen agieren und woran man das jeweils erkennen kann. Dafür muss man viel beobachten, reflektieren und auch Mechanismen verstehen – also ein gutes psychologisches Gespür haben.
Natürlich gibt es auch agile Berater, die allein die Methode vermitteln möchten. Das finde ich nicht richtig; man muss in der Lage sein, jemand anderem aufzuzeigen, an welcher Klippe er gerade steht, so dass er sich dann entscheiden kann, welchen Weg er weiter gehen möchte. Dafür muss ich aber wissen, welche Klippen es überhaupt gibt. Ich muss auch den Mut und die Kraft haben, selbst sehr offen zu sein, wenn ich Menschen ermutige, transparent zu arbeiten.
Sabine: Du bist Expertin für agiles Arbeiten und hast Dich dazu entschieden, an der CQ - Change Management Qualifizierung - der S’O’ Beratergruppe teilzunehmen. Wo siehst Du darin den Vorteil für Dich?
Judith: Für mich sind systemische Coaches die ursprünglichen Changemanager – sie arbeiten schon viel länger in diesem Feld als wir Agile und wissen häufig mehr über Veränderungsprozesse. Das Menschenbild und die Denkschule sind im systemischen und im agilen Ansatz sehr ähnlich, beide beinhalten den zentralen Aspekt der Transparenz.
Die CQ gibt mir häufig Worte oder Modelle für Dinge, die ich schon in der Praxis gesehen und erlebt habe. Als agiler Coach löse ich immer Veränderungen aus, wenn ich Teams unterstütze, agil in einem Unternehmen zu denken und zu arbeiten. Da hilft es, zu lernen, wie solche Veränderungen gestaltet werden können. Alle, die sich mit Veränderungen auseinander setzen, sollten dazu ein fundiertes Wissen haben und sollten weiter an sich und ihren Projekten arbeiten – das bietet die CQ.
Durch die CQ lerne ich eine Bandbreite von Modellen und Vorgehensweisen kennen und kann mir die herauspicken, die ich für meine Arbeit einsetzen kann.
Sabine: Für welche Change Projekte eignet sich das agile Arbeiten nicht?
Judith: Fokus der agilen Arbeit ist das Lösen von komplexen Problemen aus interdisziplinären Teams heraus. Es gibt es immer wieder Situationen, von denen ich denke, dass man in einer Gruppe zu keiner guten Entscheidung kommen kann. Es ist immer eine Frage der Indikation. Einen anstehenden Personalabbau kann ich beispielsweise nicht in einer Gruppe diskutieren. Aufgaben, die aus sich heraus komplex und chaotisch sind, lassen sich aber mit agilen Methoden besser und effizienter bearbeiten als durch die klassische Planung.
Sabine: Judith – Du als Inhaberin einer der führenden Firmen im Bereich des agilen Arbeitens: Was wünschst Du Dir für die nächsten fünf Jahre? Wo führt Dich das agile Arbeiten hin?
Judith: Ich glaube sehr an selbstbestimmte und selbstgesteuerte Menschen. Viele Firmenkontexte lassen Menschen genau das aber nicht sein. Wenn man das als Unternehmen zulässt, würde es wahnsinnige Potenziale wecken. Ich wünsche mir deswegen, dass viele Unternehmen diesen Weg gehen. Er lohnt sich und ich bin der festen Überzeugung, dass es auch viele tun werden.
Sabine: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Dieses Interview ist eine Zweitveröffentlichung des Interviews aus der NewsMail der SO-Beratergruppe.
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