Strategische Beratung, Konzept, Design, Produktion: In Agenturprojekten meint jede Disziplin ihren spezifischen Weg zum "perfekten" Ergebnis zu kennen. Oft geht viel Zeit verloren, bis sich alle aufeinander eingegroovt haben – noch schlimmer, wenn sie es nicht tun.
Judith Andresen zeigt, wie man agile Methoden nutzt, um ein Team zusammenzuschweißen und ihm gangbare Wege aufzuzeigen.

Die Anforderungen an Agenturprojekte wachsen stetig: Während es früher noch ausreichte, die Werbebotschaft für ein Produkt auf möglichst vielen Medien zeitgleich zu veröffentlichen, entscheidet heute eine umfassende Servicequalität auf allen Kanälen über den Erfolg des Produkts. In der Konsequenz müssen die Verantwortlichen sehr unterschiedliche Produktionsformen geschickt so miteinander verzahnen, dass am Ende des Digitalprojekts nicht nur Qualität, sondern auch Termintreue herauskommt.
Die meisten Agenturen arbeiten unter hohem Zeitdruck, und doch verzögern sich immer wieder Projekte – sehr zum Verdruss der Auftraggeber, aber auch der Agenturen. Andere Projekte sind zwar zum vereinbarten Termin beendet, doch mangelt es an der versprochenen Qualität, weil es an Koordination und Projektvorgehen fehlt. Auch dies stört die Agentur-Auftraggeberkommunikation empfindlich. Um solche Makel zu verhindern, ordnen viele Projektleiter Überstunden an, um die unklare Projektorganisation und fehlende Kommunikation im Team zu kompensieren.
Machen Sie es anders als beim letzten Mal!
Ursache für dieses Phänomen ist vor allem die unklare Gestaltung des Ge- samtprojekts nach dem Motto "Wir machen das so wie beim letzten Mal". Mit dieser Ansage übernimmt das Projektteam auch die fehlerhaften
Prozesse des letzten Projekts. Meist sind sich die Projektbeteiligten zwar über Prozessfehler bewusst, doch fehlt das adäquate Instrumentarium, um diese zu beheben.
Klassische Projektmethoden sehen am Projekt-Ende ein Review Meeting vor, das aber aus Mangel an Zeit nur selten durchgeführt wird. Findet es doch statt, definieren die Teams ein Maßnahmenbündel, das sich nur schwer umsetzen lässt, weil der Arbeitsalltag schlicht zu wenig Zeit dafür lässt.
Zudem erliegen Projektteams in Projekt-Reviews leicht dem Anti-Pattern "Erst dann, wenn ...". Dieser Lösungsansatz impliziert, dass man die eigene Arbeit erst dann verbessern kann, wenn zuvor andere Projektbeteiligte einen gravierenden Missstand in ihrem Lager behoben haben. So stellt das Projektteam zwar einen Prozessfehler fest, ändert aber nichts und nimmt ihn wider besseres Wissen in das nächste Projekt mit.
Agile Teams wappnen sich gegen derlei Fehlerfallen durch regelmäßige, kurze Retrospektiven. Durchführbare Änderungen sind dabei das Ziel. An Stelle der einen großen Wen- de, die nicht gelingen mag, verändern die Teams Prozesse Zug um Zug so, wie es in den Arbeitsalltag passt. Immer wieder kommen neue Methoden- bausteine hinzu oder ersetzen alte. So verändert sich die Projektmethode stetig, und die Gefahr, Fehler zu wiederholen, sinkt beträchtlich, weil die Teams aktiv gegen das "So wie beim letzten Mal" angehen. Um nicht dem "Erst dann, wenn ..."-Anti-Pattern zu erliegen, lohnt es sich, für jede Retrospektive maximal zwei Änderungen vorzusehen. Das zwingt die Teams, kleine und damit ausführbare Schritte zu vereinbaren.
Unsere Katzenklappe für Spezial- & Eskalationsfälle brauchen wir gar nicht!
Wir managen unsere parallelen Projekte mit Kanban. So wir immer, was Sache ist und wo es eng wird. In unsere Wandzeitung haben wir eine 2Katzenklappe" integriert – für "Spezial- und Eskalationsfälle" zur besonderen Behandlung durchs Projektmanagement. Aber es zeigte sich: Die Katzenklappe brauchen wir nicht. Alle haben den Ehrgeiz, es ohne zu schaffen.
Dank Kanban können wir unsere Spezialisten punktgenau einsetzen!
Die Projekte bei e-net sind genauso herausfordernd und unterschiedlich wie unsere Kunden und deren Geschäftsumfelder. Eines haben alle Projekte gemeinsam: das Projektmanagement über Kanban. Mit Kanban steuert das Team den Ressourceneinsatz und insbesondere den unserer Spezialisten.
Behalten Sie das Projektziel im Auge!
Klassische Projektmethoden nutzen als zentrales Artefakt den Projektplan. Es ist Aufgabe des Projektmanagements, das Projekt mit allen Aufgaben und Risiken während des Setups zu erfassen und dann alle notwendigen Aufgaben aus dem Projektplan abzuleiten. Mit fortschreitender Komplexität wird es allerdings immer schwieriger, den Projektplan unter Betrachtung aller Risiken korrekt aufzusetzen.
Anders in der agilen Welt. Hier ist die Sichtweise auf Projekte grundsätzlich anders: Alle Beteiligten gehen davon aus, dass der Plan sich im Verlauf des Projekts wahrscheinlich verändern, zumindest aber verfeinern wird. Dies folgt dem agilen Manifest (www.agilemanifesto.org): "Heißen Sie wechselnde Anforde- rungen willkommen, auch spät in der Entwicklung. Agile Prozesse nutzen Änderung für den Wettbewerbsvor- teil des Kunden". Änderungen sind also nach agilem Verständnis normal. Die Projektbeteiligten lernen im Projektverlauf, was notwendig ist, um das Projektziel zu erreichen. Um dies einzulösen, wird in den Prinzipien hinter dem agilen Manifest die tägliche, direkte Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten eingefordert.
Damit der Projektverlauf nicht chaotisch wird, erfassen agile Methoden die bekannten Aufgaben in einem sogenannten Backlog, Durch ständiges Kontrollieren, Verfeinern, Verändern und Ergänzen ermittelt das Projektteam die tatsächlichen Aufgaben. Diese werden regelmäßig mit dem Auftraggeber priorisiert. Um zeitliche Abhängigkeiten aufzu- lösen, stellt das Team gegebenenfalls auch Einträge im Backlog komplett zurück. Da in agilen Methoden die Priorisierung immer zusammen mit dem Auftraggeber erfolgt, sichern alle Projektbeteiligten das Erreichen des Projektziels. Alle wissen um Prioritäten und Fertigstellungsgrade – und sind damit einverstanden. Grund dafür ist eben Transparenz, die agilen Projekten eigen ist.
Wir managen sogar den Support oder unsere Küche mit Kanban!
Wir managen uns komplett über Kanban. Das gilt nicht nur für die Entwicklungsteams. Über regelmäßige Retrospektiven versuchen wir alle Bereiche weiter auszubauen und zu optimieren. Die daraus resultierende Transparenz fordert und fördert zugleich.
Agil sein ist mehr als eine Methode – es ist eine prägende Denkweise. Es macht Spaß, so zu arbeiten.
SCRUM lohnt sich für Otto - dieTeams liefern bessere Arbeitsergebnisse!
Wir haben rund 300 Mitarbeiter in der Entwicklung und haben auf Scrum umgestellt.
Je größer die Teams, desto länger dauert es, bis sie ihre Arbeitsweise finden – manchmal sind mehrere Monate. Für uns lohnt es sich für uns dennoch – die Teams liefern insgesamt bessere Arbeitsergebnisse ab.
Methodenbausteine für den agilen Jungfernflug
Wie gelingt nun ein Einstieg in die agile Projektwelt? Wenn im eigenen Projektteam keine Entwickler integriert sind, fällt die Adaption bereits etablierter Projektmethoden wie Scrum oder Kanban vielen Teams schwer.
Das agile Manifest fordert: "Individuen und Interaktionen gehen über Prozesse und Tools." Entsprechend sollte man den Einstieg ins agile Projektleben leicht gestalten, ohne gleich ganz große Prozesse zu adaptieren. Als Kernelemente der agilen Projektwelt empfiehlt sich der Start mit einer Wandzeitung, täglichen Stand-up-Meetings und regelmäßigen Retrospektiven:
Die WANDZEITUNG liefert Transparenz über den Projektfortschritt und macht sichtbar, welche Aufgaben noch anstehen, welche Aufgaben in Arbeit sind und welche abgeschlos- sen sind. Je nach Vereinbarung des Projektteams umfassen die Wandzeitungen nur den eigenen Arbeitsanteil oder spiegeln auch die Lieferungen, Abgaben und Abnahmen aller Projektbeteiligten.
Die einfachste Wandzeitung entsteht durch die vier Spalten "Backlog", "To Do", "Doing" und "Done". Im Backlog stehen alle offenen Aufgaben. In die "To Do"-Spalte überträgt das Team alle Aufgaben, die die höchste Priorität haben und aktuell bearbeitet werden sollen. "Doing" zeigt alle Aufgaben, die das Team gerade bearbeitet. Sind Aufgaben abgeschlossen, hängt das ausführende Teammitglied sie in "Done" um.
Baut man die Spalten aus, lassen sich auch längere Agenturprozesse abbilden. Die Hamburger Web-Agentur e-net bildet 27 Prozessschritte von der Angebotsanfrage bis zur Auslieferung und Rechnungsstellung in einer Wandzeitung ab. An ihr können alle Mitarbeiter zu jedem Zeitpunkt ablesen, wer aktuell mit welchen Aufgaben betraut ist.
Das DAILY STANDUP hilft dem Team, die Aufgaben gut zu erfüllen. Dafür versammelt sich das Projektteam einmal täglich vor der Wandzeitung. Alle Team-Mitglieder berichten, was sie am letzten Tag für das Projekt getan haben, was sie heute tun möchten und welche Schwierigkeiten sie aktuell sehen.
Dieser Punkt richtet sich neben dem faktischen Wissen der Teammitglieder auch an deren Bauchgefühl. Die Lösung dieser Themen erfolgt nicht im Daily Standup-Meeting, sondern danach. Das Team legt fest, wer sich dieses Themas annehmen wird. Durch den täglichen Austausch spürt die Gruppe genau, wann und wie es im Projekt hakt. Auch virtuelle, das heißt über mehrere Standorte verteilte Teams, treffen sich täglich. Videotelefonie und digitale Wandzeitungen in Form von Ticket- systemen liefern das gleiche Resultat. Um zu verhindern, dass dieser kurze Abgleich zu einem langwierigen Arbeitstreffen verkommt, findet das Daily Standup im Stehen statt. Nichtsitzen fördert die Konzentration auf die wichtigen Themen. Stellt das Team fest, dass die Daily Standups trotz Stehen zu lange dauern, helfen auch Stoppuhren mit Alarm. Das Team könnte Regeln vereinbaren wie: "Jeder Teilnehmer hat maximal zwei Minuten, die drei Fragen zu beantworten." Derartige Regeln vereinbaren die Projektteilnehmer allerdings nicht im Stand-up, sondern während der regelmäßig stattfindenden Retrospektive.
Mit RETROSPEKTIVEN optimieren Projektteams ihre Arbeit Schritt für Schritt. Meist trifft man sich im Zweiwochenrhythmus, im Falle von Projektkrisen aber auch spontan. In diesen meist anderthalbstündigen Arbeitstreffen klärt das Projektteam folgende Fragen:
- Wo stehen wir aktuell?
- Was läuft bei uns gerade sehr gut? Was läuft nicht so gut?
- Woran liegt das?
- Welche Handlungsoptionen haben wir jetzt?
Darauf vereinbart das Team bis zu zwei Ergebnisse, die bis zur nächsten Retrospektive verändert werden sollen. Ergebnisse sind allgemeingültige Teamregeln beziehungsweise Maßnahmenpakete mit einem konkreten Ziel.
Die Teamregeln hängen die Teilnehmer für alle sichtbar im Projektraum auf. Virtuelle Teams dokumentieren ihre Teamregeln digital. Maßnahmenpakete konkretisieren die Be- teiligten während der Retrospektive mit "Wer?", "Was?" und "Bis wann?". In der folgenden Retrospektive überprüft das Team dann, ob die vereinbarten Regeln und Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurden.
Kanban ist gut für wiederkehrende Prozesse
Kanban sollte man immer dann erwägen, wenn man es mit soge- nannten Maintenance-Prozessen oder mit einfachen Erweiterungen und Ergänzungen eines bestehenden Systems zu tun hat. Nach Fertigstellung einer Aufgabe wählen die Teammitglieder aus einem Aufgabenpool, der priorisierte Tasks enthält. Der Kanban-Experte David Anderson formulierte folgende fünf Paradigmen:
- Visualisiere den Fluss der Arbeit!
- Begrenze die Menge angefangener Arbeit!
- Miss und steuere den Fluss!
- Mach die Regeln für den Prozess explizit!
- Verwende Modelle, um Chancen für kollaborative Verbesserungen zu erkennen!
SCRUM eignet sich für umfangreiche Projekte
Scrum ist für größere Projekte gut geeignet und folgt vier einfachen Prinzipien:
- ZERLEGUNG
Das Team zerlegt das Projekt in viele Aufgaben und dokumentiert diese in Backlogs. - TRANSPARENZ
Die Beteiligten halten sich über den Projektfortschritt auf dem Laufenden und stellen erkannte Risiken und Hindernisse transparent dar. - ÜBERPRÜFUNG
Arbeitsergebnisse checkt der Auftraggeber regelmäßig und nimmt diese ab. - ANPASSUNG
Nach jeder dieser Überprüfungen nimmt das Team Änderungen auf und integriert sie in den Prozess.
Gut Ding will Weile haben

Der Einstieg in diese drei Methodenbausteine ist schnell und leicht machbar. Dennoch braucht die gesamte Umstellung Zeit, denn die Teams müssen lernen, welche Handlungsoptionen sie bei der Gestaltung ihrer Projektwelt haben. Ge- ben Sie Ihrem Team also genügend Zeit sowohl bei der Einführung einer bereits bekannten agilen Methode als auch bei der Definition einer eigenen Methode, die auf den drei genannten Methodenbausteinen aufbaut.
Zudem sollten Sie bei der Einführung genau darauf achten, dass alle Beteiligten genau wissen, wer zum Team gehört. In vielen Fällen entstehen Abstimmungsschwierigkeiten aus dem Umstand, dass nicht klar ist, ob einzelne Personen Teammitglieder sind oder lediglich Zulieferer im Projekt sind.
Teammitglieder unterwerfen sich den Teamregeln und nehmen an den Retrospektiven teil – während Zulieferer zum definierten Zeitpunkt ihr Gewerk in das Projekt integrieren.
Wenn klar ist, wer auf welche Weise zum Projekt beiträgt – und alle Beteiligten bewusst („nicht wie beim letzten Mal“) die Form der Zusammenarbeit definieren, wird diese auch gelingen.
6 SCHRITTE ZUM AGILEN PROJEKT
Mit diesen wenigen Schritten öffnet das Projektteam den Weg in eine selbstlernende, sich ständig optimierende Arbeitsweise und löst die drei agilen Leitlinien "Selbstorganisation", "Transparenz" und "Feedback" perfekt ein.
- Projektziel in messbaren Zielen definieren
- Projektrollen festlegen (Projektsteuerung, Projektteam, Zulieferer)
- Projektraum mit Wandzeitung einrichten
- Zeitpunkt und -dauer der Daily StandUps festlegen
- Zeitpunkt und -dauer der Retrospektiven definieren
- Übergreifende Reviews
Der Text ist in der Erstveröffentlichung in der WEAVE 01.14 erschienen. Der Text ist abweichend von den anderen Blog-Einträgen in der Sie-Form und nicht geschlechtsneutral formuliert.
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