Zwölf Wochen, acht Produktentwickler und -entwicklerinnen – und eine marktfähige Idee ist fertig programmiert. Mit dem EggPlant-Prozess können Unternehmen Innovation lernen. Mit einem klaren Projektrhythmus verdichten die Produktentwickler und -entwicklerinnen mehrere Ideen zu einer marktfähigen Innovation für ihre Software. Dieser Artikel stellt den teamorientierten EggPlant-Ansatz vor.
Systematische Innovation in Unternehmen möglich machen
„EggPlant“ ist ein einfach implementierbarer Innovationsprozess für klassisch-hierarchische Unternehmen. Viele Unternehmen leiden an Innovationsstau. Fehlender Mut, zu frühe Risikoabschätzungen und große Entscheidungsgremien führen dazu, dass Veränderung und Innovation nicht stattfinden können. Iteratives Ausprobieren, kleine Teams und faktische Überprüfung sind häufig in klassisch-hierarchischen Strukturen nicht vorgesehen.
Der notwendige Mut, das In-Kauf-Nehmen von Scheitern, fällt in klassischen Strukturen schwer.
In der Evolution ist aber gerade die Fähigkeit zur Veränderung ein wesentlicher Überlebensfaktor einer Spezies. Auf Firmen übertragen, bedeutet das, dass die Fähigkeit zur Veränderung und zur Innovation überlebenswichtig ist. Gleichzeitig demotiviert fehlende Veränderung viele Mitarbeiter. Starre Prozesse und große Abstimmungsrunden sorgen dafür, dass den Mitarbeitern Gestaltungsräume fehlen.
Die Angst vor Risiken und Versagen hemmt die Entscheidungsgremien, neue Wege zu gehen. Der Egg-Plant-Prozess ist ein Aus- weg aus dieser Misere. Durch eine klare zeitliche Abfolge sowie eine klare personelle Zuordnung ist der EggPlant-Prozess budgetierbar und verbindet das Beste aus zwei Welten. Auf der einen Seite stehen mutige und motivierte Teams, auf der anderen Seite steht eine klare Plan- und Budgetierbarkeit.
Veränderung liegt außerhalb der Komfortzone
Veränderung und Innovation bedeutet entweder die Kombination von Gewohntem mit Neuem oder den Gang in völlig neue Bereiche. Beide Vorgänge liegen für die meisten Beteiligten außerhalb ihrer Komfortzone. Das vertraute Vorgehen ist für viele der beliebtere Weg.
Gleichzeitig wird bei Fehlern oder Versagen häufig eine Person verantwortlich gemacht. Schuldzuweisungen sind nach dem Scheitern einer Idee an der Tagesordnung. An Stelle des Lobs für den Versuch erfolgt die Schelte für den Fehlgriff. In diesem Klima ist die Entstehung von Innovation nahezu unmöglich. Der oder die Einzelne muss nicht nur sich selbst überwinden – er oder sie muss auch eine klare Haltung zu einem möglichen Scheitern haben.
Haben nun Entscheidungsgremien über neue Ideen zu befinden, überlagern sich die Komfortzonen der Beteiligten und der Mut der Gruppe wird immer kleiner. Um sicherzustellen, dass am Ende der Innovation kein Ärger auf die Gruppe lauert, wird mittels Risikomanagement die Innovation immer kleiner- oder ganz weggeredet.

Sichtbarkeit von Ergebnissen motiviert Teams
Der EggPlant-Prozess ist eine Entwicklung von Johannes Mainusch, einem der Autoren diesen Artikels, und seine Antwort auf eigene Erfahrungen mit bestehenden Innovationsprozessen.
Drei Tage lang hatten 2008 in einem XING-Hackathon in Hamburg viele motivierte Entwickler und Entwicklerinnen über 30 innovative Ideen hervorgebracht. Entgegen dem Versprechen des
XING-Managements, diese auf der Live-Plattform zu integrieren, wurden diese nicht öffentlich.
Eine Mischung aus Nicht-Zutrauen und hohem Druck durch das Tagesgeschäft führte dazu, dass die während des Hackathons entstandenen Prototypen nicht ausgebaut und ausgerollt wurden.
Die Gründe für das Scheitern sind schnell benannt:

- Die erstellten Prototypen waren noch nicht ausgereift genug, um leicht in die Live-Plattform integriert zu werden.
- Das Management, Mainusch eingeschlossen, hatten keinen Prozess aufgesetzt, um sicherzustellen, dass alle oder einzelne Ideen vorangetrieben wurden.
Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen war ihr Einsatz daher sehr frustrierend. Mit viel Motivation und Elan hatten sie in drei Arbeitstagen ihre Ideen beziehungsweise Prototypen erstellt. Die Nicht-Sichtbarkeit war schmerzhaft. Der Begriff „Innovation“ bekam einen zynisch bitteren Beigeschmack bei den XING-Mitarbeitern. Mainusch fasst zusammen: „Als Manager hatten wir in Hinblick auf Innovation versagt.“ Durch das einmalige Aufsetzen eines Hackathons ohne einen Folgeprozess ist Demotivation garantiert – Innovation wird ausbleiben. Es stellt sich also die Frage, wie in einem Unternehmen ein fortlaufendes innovatives Rad stabil zu implementieren ist. Mit dem Wechsel von Mainusch zu OTTO nahm der EggPlant-Prozess Gestalt an. Der Name „EggPlant“ kommt aus der Idee „Planting innovative eggs, as from them may spring great innovation trees“. Es gilt also, innovative Eier zu pflanzen, aus denen in Zukunft Bäume der Innovation sprießen werden. Dabei ist EggPlant ein Übersetzungsfehler aus der ersten Zeit der Prozessfindung. Mainusch dachte an die Kerne von Avocados und seine vergeblichen Ver- suche, diese zum Keimen zu bewegen, und übersetzte diese eierartigen Pflanzenkerne fälschlicherweise mit EggPlant.
Als der Übersetzungsfehler offenbar wurde, hatte der EggPlant-Prozess bereits eine solche Wirkung auf die Beteiligten, dass der Name einfach bleiben musste. Denn der EggPlant-Prozess verzeiht Fehler und macht Scheitern und Erfolge möglich.
Die EggPlant-Entstehung: iterativ & teamorientiert
Abbildung 1 des Egg-Plant-Prozesses zeigt die Originale, die als Bleistift-Zeichnung durch das vierte Obergeschoss bei OTTO, das eCommerce-Geschoss, wanderten. Bei der Formulierung des Prozesses leiteten folgende Grundideen die Beteiligten:
- Der Prozess muss sichtbar sein: Innovation soll nicht als „U-Boot“ entstehen.
- Die Arbeit aller Beteiligten soll Wertschätzung erfahren.
- Mutige, innovative Ideen entstehen zunächst in kleinen Gruppen.
- Viele innovative Ideen finden in einem komplexen Umfeld statt. Um dies zu bewältigen, benötigt man kompetente Teams.
- Die Organisation soll lernen, dass Scheitern dazu gehört und okay ist.
- Der Prozess soll gute Ideen stützen und diese innerhalb kurzer Zeit zur Marktreife bringen.
Die erste Skizze des Prozesses brachte Mainusch schnell zu Papier und diskutierte diese Ideen sowohl mit OTTO-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen als auch wie mit Externen wie Judith Andresen, der Ko-Autorin dieses Artikels.

Dabei formte sich der Prozess immer mehr aus. „Das ist jetzt zu kompliziert gedacht“, führte zu Radierungen und Veränderungen, aber auch Gedanken wie „Das würde mich echt demotivieren, wenn ich lange auf ein Feedback warten müsste“, beispielsweise zu einer anderen Anpassung. Die Beteiligten reagierten dabei sehr freundlich und kompetent auf die ersten und später auf die ausgefeilten Prozessskizzen.
Durch die starke Einbindung des interdisziplinären Teams wurden viele Interessenberücksichtigt. Die Triebfeder, dass neben dem Tagesgeschäft einmal Neues möglich sein könnte, hat alle motiviert, EggPlant aufzubauen und rund zu machen. Möglich wurde dies unter anderem durch die Medienwahl. Papier, Bleistift und Radiergummi setzten das deutliche Signal, dass Veränderungen nicht nur abgefragt, sondern auch gewünscht waren.
Diese Erkenntnis ist für uns auch für andere Teamprozesse eine wichtige Marke: Die Wahl der Präsentationsform entscheidet über die Qualität der Beteiligung mit. Und Papier und Bleistift oder auch FlipCharts lösen mehr Teilhabe aus als fertige Power-Point-Präsentationen.
Mit der Ei-Phase beginnt der EggPlant-Prozess
Die Gründungsphase des EggPlant-Prozesses dauert zwei Tage. In dieser Phase entwickeln beliebig viele Zweier-Teams ihre Ideen. Die Phase kann unter einem bestimmten Motto stehen – denkbar wäre
zum Beispiel ein Ausrichten auf eine coole User-Experience des bestehenden Produkts. Alternativ können die Zweier-Teams auch beliebige Ideen entwickeln, die für das Unternehmen dienlich sein
können.

Die Zweier-Teams haben die Aufgabe, ihre Idee so gut wie möglich zu bauen beziehungsweise zu beschreiben. Die Art der Präzisierung ist ihnen freigestellt. Es ist alles möglich: Scribbles im Comic-Stil, die die den Prozess beschreiben, genauso wie Software-Prototypen oder Wireframes.
Ziel der beiden Tage ist es, die eigene Idee einer Jury in 400 Sekunden im Pecha-Kucha-Stil vorzustellen. Fokus und Inhalt der Präsentation bleiben den Zweier-Teams überlassen. Die Jury ist dabei mit maximal fünf Mitgliedern und interdisziplinär mit internen wie externen Führungs- sowie Fachkräften besetzt. Nach kurzer Beratung wählt die Jury vier Gewinner-Teams aus und begründet diese Wahl.
Diese vier Teams starten nun in den EggPlant-Prozess. Für die nächsten zwölf Wochen arbeiten diese acht Mitarbeiter konzentriert an den ausgewählten innovativen Ideen. Im Laufe des Prozesses werden die Ideen weiter verdichtet und schließlich konzentrieren sich alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf eine Idee.
Mit vier Ideen in die StartUp-Phase
Die vier ausgewählten Zweier-Teams bekommen vom Unternehmen dreieinhalb Wochen Zeit, in der sie in Vollzeit an ihrer Idee arbeiten dürfen und diese in Richtung Marktreife bewegen sollen (siehe Abbildung 3). Die Teams arbeiten also als kleine StartUps im Unternehmen und kümmern sich um ihre Innovationseier.
Ziel ist es, nach dieser Zeit vier „minimal viable products“ vorstellen zu können. Dabei bezieht sich diese Forderung auf die Präsentation vor der Jury. So kann das Team zum Beispiel eine lauffähige Software herstellen, deren Benutzungsschnittstelle noch nicht vollständig graphisch im Sinne der Corporate Identity des Unternehmens entwickelt ist.
Um den Prozess abzusichern, kann dieser durch zwei Berater unterstützt werden: durch den Engel und den Teufel. Diese ergänzende Idee stammt von Bernd Oestereich:
- Ein Engel hat die Aufgabe, das Team zu motivieren, indem er die Stärken und Besonderheiten der Idee herausstellt und lobt.
- Dagegen besteht die Aufgabe des Teufels darin, in ätzender Kritik die Schwachpunkte des jeweiligen Ansatzes zu benennen.
Dieser Berater-Einsatz soll die Teams für die nächste Vorstellung ihrer Idee vor der Jury stärken. Die Phase endet mit der Vorstellung der Idee in einem großen Event. Die Teams haben die Aufgabe, ihre Idee und damit ihr Produkt der Jury in einer jeweils zehnminütigen Präsentation vorzustellen. Die Vorstellung ist als großes, öffentliches Event auszurichten, bei dem die Arbeit und der Fortschritt gefeiert werden. Gleichzeitig wählt die Jury die neuen Gewinner-Teams. Aus vier Ideen werden nun zwei Ideen ausgewählt, die wiederum weiterentwickelt werden sollen.
Verdichtete ideen mit grösserem Team
Die Teams, deren Ideen die Jury nicht angenommen hat, verstärken nun die anderen Teams. Diese nun vierköpfigen Teams haben wiederum dreieinhalb Wochen Zeit, ihre Idee voranzutreiben.
Die Teams haben die Aufgabe, neue Teammitglieder in die Arbeit zu integrieren. Diese werden die Teams befruchten, da sie Ideen und Vorgehensweisen aus ihren bisherigen EggPlant-Teams
mitbringen. Diese Integration kann schwierig werden. Gelingt sie aber, ist sie ein großer Gewinn: Weitere Impulse werden die Teamidee bereichern und erweitern.
Diese Konzentration auf die besseren Ideen ist ein wesentlicher Lerneffekt für die gesamte Organisation. Die Teammitglieder lernen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und zum
Wesentlichen gute Ideen beizutragen.
Wie am Ende jeder Phase stellen die Teams ihre bisherigen Ergebnisse vor. In einer ebenfalls zehnminütigen Phase zeigen sie ihr lauffähiges Produkt, das für die Jury wiederum ein „minimal viable product“ darstellt. Wie auch die anderen Präsentationen ist diese Vorstellung ein großer Meilenstein, der gebührend und öffentlich begangen wird. Aus den beiden Ideen wählt die Jury mit einer Begründung die Gewinner-Idee aus.
Am Ende des Phase 3 geht eine Idee live
Wie schon zu Beginn der zweiten Phase werden die Teams zusammengeführt. Das nun entstandene achtköpfige Team arbeitet nochmals dreieinhalb Wochen an der Gewinner-Idee weiter (siehe Abbildung 4). Mit acht Personen sollte in der gegebenen Zeit die Idee zur Marktreife getrieben werden. Das während der zweiten Phase entstandene „minimal viable product“ ist so auszubauen, dass es in dieser Form auf den Produktivsystemen ausgeliefert werden kann. Dies geschieht am Ende der Phase. Dieses Live-Stellen ist eine Verpflichtung des Managements, das den EggPlant-Prozess initiiert hat. Die Gewissheit, dass eine Idee aus dem EggPlant-Prozess es sicher in die Produktivsysteme schaffen wird, ist eine große Motivationsquelle für alle Beteiligten und wird neben der Launchparty ein großer Treiber für den nächsten Zyklus des EggPlant-Prozesses sein.
Das neue Ei wird gepflanzt

Die Geburt der neuen Innovation, also das Live-Stellen auf den Produktivsystemen, wird mit einer zweitägigen neuen Ei-Phase gefeiert. An deren Ende werden von einer Jury acht neue Personen ausgewählt, um die nächste Innovation anzuschieben – der Prozess beginnt von vorne (siehe Abbildung 5).
Zusammenfassung
Der EggPlant-Prozess ist einfach zu budgetieren. Für einen Zyklus des Prozesses entsteht ein Budgetbedarf für:
- Acht Produktentwickler und -entwicklerinnen für zwölf Wochen
- Gegebenenfalls die Berater „Engel“ und „Teufel“
- Fünf Jury-Mitglieder
- Begleitende Flow-Manager
- Pizza und Getränke für die Ergebnispräsentationen
Der Innovationsprozess wird jeweils auf zwölf Wochen angelegt, wobei die nochnicht fest verplanten Tage für Review und Retrospektiven des Prozesses genutzt werden. Dabei gilt es, einige grundlegende Fragen zu beantworten, die der vorgestellte EggPlant-Prozess noch nicht beantwortet:
- Wie wird die Wirksamkeit der Innovationen auf den Live-Systemen überprüft?
- Wer sichert den Betrieb der Innovationen?
- Welche Team-Integrationsmodelle zu Beginn der zweiten und dritten Phase funktionieren besonders gut?
- Hat die Art der Jury-Entscheidung und -Begründung Einfluss auf die Teamentwicklung?
Wir haben durch Erfahrung abgesicherte Ideen für die Antworten und die Sicherheit: Finden Sie die Antworten heraus, die zu Ihnen und zu Ihrem Unternehmen passen!
Learnings aus dem EggPlant-Prozess
Neben den fachlichen Optimierungen hat der EggPlant-Prozess den Beteiligten noch ganz andere Dinge vermittelt:
- Eine Skizze auf Papier, ein Bleistift und ein Radiergummi sind in der Ideenentwicklung wirksamer als PowerPoint-Präsentationen.
- Zwei sind mutiger als acht, acht sind schneller als zwei.
- Enthusiasmus macht Ideen möglich und bringt mehr als harte Management-Forderungen.
- Eine frühe Ideenteilung, das Überprüfen des Stands und offene Diskussionen führen zu besseren Ergebnissen als langes Ausarbeiten der großen „perfekten“ Idee.
- Es ist besser zu scheitern, als es gar nicht erst versucht zu haben.
Über die Autoren

Judith Andresen (Kontakt) ist agiler Coach. Sie unterstützt Teams dabei, gemeinsame Ziele zu definieren und adäquate Methodenbausteine sowie eine sinnvolle Kommunikation zu etablieren. Darüber berichtet sie regelmäßig in ihrem Blog und in Konferenzvorträgen.

Dr. Johannes Mainusch (Mail)
ist als CTO der E-Post für den Erfolg in der Zukunft der Post verantwortlich. Zuvor war er Leiter der Softwareentwicklung bei OTTO und bis April 2012 Vice President Operations
bei der XING AG.
Dieser Artikel ist eine Zweitveröffentlichung des gleichnamigen Artikel in der OBJEKTspektrum 05/2014. Der Artikel ist abweichend von anderen BlogBeiträgen in der "Sie-Anrede" formuliert.
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