Das Anforderungsmanagement wird in vielen Unternehmen über mehrere Ebenen organisiert. Das wird das Anforderungsmanagement prozessural von den Umsetzungsteams abgetrennt. Eine Alternative zu diesem Vorgehen ist der EggPlant-Prozess -- ein interdisziplinärer, getakteter Innovationszyklus.

Unabhängig davon, ob ein Unternehmen seine Prozesse eher klassisch im Wasserfall-Prinzip oder mit agilen Projektmethoden löst, werden Anforderungen meistens in mehreren Stufen aufgenommen. Von einer Produktvision (A) wird das Portfolio bestimmt. Aus diesem werden einzelne Projekte (B) abgeleitet, die sich wiederum in Feature-Anforderungen (C) manifestieren.
Erkenntnisse und Produktannahmen der Produkt-Entwickler und -Entwicklerinnen können in diesem Prozessvorgehen erst in der dritten Stufe -- auf Feature-Ebene -- verarbeitet werden.
Innovative Ideen müssen in diesem Konstrukt mit kleineren, naheliegende Erweiterungen konkurrieren.
Der EggPlant-Prozess stellt die Produkt-Entwickler und -Entwicklerinnen, Disziplinen wie Konzept, Design und Programmierkräfte in den Fokus.
Interdisziplinäre Teams erstellen in vier Phasen eine produktionsreife Lösung
Der Name "EggPlant-Prozess" entspringt einem Übersetzungsfehler seines Finders Dr. Johannes Mainusch. Irrtümlich ging Johannes davon aus, dass EggPlants Avocoados seien. Mit dem Kern der letzten Frucht lässt sich die nächste Pflanze züchten -- dieses Bild sollte als Sinnbild für den Prozess dienen. Da "EggPlant" Fehler verzeiht, blieb der Name.
Der EggPlant-Prozess läuft über insgesamt zwölf Wochen. Dabei konzentrieren sich immer größer werdende Teams auf eine stets kleinere Anzahl von Produktideen. Die Teams sind interdisziplinär besetzt. Die Kalkulation von insgesamt zwölf Wochen ist als Maximalmaß zu verstehen. Wenn Produktideen in Eurem Umfeld schneller zu bewerkstelligen sind, sind die Phasenlängen der Phasen 2 bis 4 entsprechend zu reduzieren.
Zwei Tage vorweg, dann drei Entwicklungsphasen von je 3,5 Wochen
Der EggPlant-Prozess beginnt mit einer zweitägigen Startphase. In dieser Zeit bereiten jeweils Pärchen eine 400-sekündige Pecha-Kucha-Präsentation vor, in der sie die Produkt- oder Featureidee präsentieren. Ziel ist es, eine Produktergänzung oder -neuheit zu präsentieren, die in den EggPlant-Regeln innerhalb der nächsten zwölf Wochen erstellt werden kann.
Die Zweier-Teams stellen ihre Arbeitsergebnisse einer fünfköpfigen Jury vor. Die Besetzung der Jury wird maßgeblich die Produktqualität nach der vierten Phase, dem geplanten und zugesicherten Livetermin des EggPlant-Ergebnisses, bestimmen. Die Offenheit und Risikofreude des Gremiums ist dabei entscheidend.
Aus allen Vorschlägen, die aus der "Eipflanzung" hervorgehen, wählt die Jury vier Vorschläge aus, an denen die entsprechenden Pärchen 3,5 Wochen arbeiten dürfen. Am Ende stellen die vier
Zweier-Teams in einer zehnminütigen Präsentation ihr "minimum viable product" vor. Der Kern der Idee ist bereits nach der zweiten Phase funktional. Die Art der Präsentation wird dabei vollständig
dem Team überlassen.
Die Jury wählt nach ihren Kriterien die zwei Produkterneuerungen aus, die in der dritten Phase weiterbearbeitet werden sollen. Dabei schließen sich die Verlierer-Pärchen den Gewinner-Pärchen an. Es entstehen zwei vierköpfige Teams, die jeweils ihre Produktidee vorantreiben. Ziel ist es, das "mimimum viable product" in den nächsten 3,5 Wochen weiter auszubauen. Die beiden hinzugekommenen Team-Mitglieder werden mit ihren Ideen, Kenntnissen und Kompetenzen der durch sie vertretenen Disziplinen die ursprüngliche Idee bereichern und erweitern.
Am Ende der dritten Phase, welche ebenfalls 3,5 Wochen andauert, stellen die zwei Teams wiederum in einer zehnminütigen Präsentation ihr Produkt vor. Die Jury wählt die innovative Idee aus, die für sie am meisten Erfolg verspricht. Wie auch in den vorherigen Jury-Runden wird die Auswahl öffentlich begründet.
Alle Jury-Entscheidungen werden feierlich begangen. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind dazu eingeladen, zum Beispiel bei einem gemeinsamen Pizza-Essen im größten Versammlungsraum den Präsentationen und der Jury-Entscheidung zu lauschen.
Die beiden Teams schließen sich für ein Team zusammen. Die Gewinner-Idee wird durch das nun achtköpfige Team zur Produktionsreife vorangetrieben. Das große Ziel ist die Livestellung des geschaffenenen Produkts beziehungsweise des neuen Features am Ende der vierten Phase.
Die Livestellung wird mit der nächsten Ei-Pflanzung gefeiert. Der Zyklus beginnt von Neuem.
Motivation durch frühe Sichtbarkeit
Die Livestellung ist ein großes Versprechen des EggPlant-Prozesses. Dieses Versprechen ist Treiber der Beteiligten. Die Idee wird "ohne Wenn und Aber" live gehen.
Ideenwettbewerbe in Unternehmen bleiben häufig stecken. Viele Ideen werden genannt -- der Verbleib der Ideen ist unklar. In dieser Gemengelage entsteht häufig das Gefühl in den Entwicklungsteams, dass andere Projektbeteiligte das Produkt nicht wirklich verstanden hätten. Würden sie dies tun, würden sie ja sinnvollere Produktideen entwickeln.
EggPlant beteiligt alle Disziplinen an der Ideenentwicklung. Gleichzeitig macht EggPlant-Prozess den Weg der Ideen transparent. Es ist nachvollziehbar, welche Idee warum die Vorzug bekommen hat. Und es ist klar, dass eine Idee nach einer festen Zeit kundenwirksam wird. Diese frühe, kalkulierbare Sichtbarkeit sorgt für die Motivation in den Teams.
Unterstützung für die Teams
Damit dies gut gelingt, kann der Prozess durch einen Flow-Manager oder eine Flow-Managerin unterstützt werden, welche die Teams in ihrem Arbeitsfluss unterstützt. Der Flow-Manager beziehungsweise die Flow-Managerin unterstützt das Team durch Prozess-Beratung. So kann das Team leichter Team-Routinen wie Daily StandUps, Aufgabenerfassung in UserStorys, Wandzeitungen, interne Reviews und Retrospektiven entwickeln. Das Team erfasst schneller, welche Methodenbausteine dem zwei-, vier- oder achtköpfigen Team in der Produktivität dienen.
Alle Phasen werden von zwei Beratern oder Beraterinnen, dem "Engel" und dem "Teufel" begleitet. Mit dem Engel und Teufel stehen dem Team fachliche Berater und Beraterinnen zur Seite. Diese helfen den Teams ihre Argumente zur Produktgestaltung zu schärfen. Durch das institutionalisierte Loben und Positiv-Sehen des Engels werden genauso Impuluse gesetzt wie durch die starke Kritik des Teufels.
Lernen, lernen, lernen
Mit EggPlant lernen alle Team-Mitglieder, die Jury-Mitglieder und alle anderen Beteiligten, dass Scheitern okay ist. Das Verwerfen von Ideen ist im Prozess angelegt.
Risikoaversion trägt also keine Früchte. Die interdisziplinären Entwickungsteams probieren ihren Weg aus -- und arbeiten hart an der Entwicklung ihres "minimum viable products".
Da nach dem Verwerfen von Ideen die entsprechenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die verbliebenen Teams aufgenommen werden, entsteht ein großer Wissenspool. Dabei wird die Organiation insgesamt lernen, welche Vorgehensweisen in diesem Innovationszyklus effizient sind.
Um EggPlant als Solches zu überprüfen, wird am Ende jedes Zyklus eine Retrospektive durchgeführt, mit dem EggPlant als Solches überprüft wird. Ziel ist es, EggPlant im Detail an die Bedürfnisse anzupassen. Diese Retrospektive kann als Beispiel für die Teams dienen. Die Teams werden für sich die Frage klären müssen, wie Wissenstransfer und Prozessoptimierung zu bewerkstelligen sind. Bei der Beantwortung kann gegebenenfalls das Flow-Management unterstützen.
Systematisch Innovation ermöglichen
„EggPlant“ ist ein einfach einzuführender Innovationszyklus für klassisch-hierarchische Unternehmen. Diese leiden häufig an Innovationsstau.

Angst, fehlender Mut, nicht absehbare Risiken -- gepaart mit unklaren Entscheidungsstrukturen -- verhindert Innovation und Bewegung. Die Angst vor dem Scheitern verhindert Bewegung. Im Gegensatz dazu sind kleine Gruppen häufig mutiger und probieren eher Verändertes oder Neues aus.
Der EggPlant-Prozess setzt auf Veränderung und nimmt prozessural auf, dass Ideen verworfen werden. Gleichzeitig ist der EggPlant-Prozess klar budgetierbar, da in Summe die Personalstärke im Prozess nicht variiert. Damit wird auf eine kalkulierbare Art eine positive Fehlerkultur ins Unternehmen Einzug halten.
Und das ist neben einer produktionsreifen innovativen Produkterweiterung oder neuen Produktidee der zweite Gewinn des EggPlant-Prozesses.
Über die Autoren

Judith Andresen ist ein agiler Coach, die Teams und Unternehmen bei der Einführung agilen Arbeitens und Denkens unterstützt. Schwerpunktmäßig begleitet sie als Coach oder Mentorin Teams und Unternehmen in ihrer agilen Transition.
Sie bloggt regelmäßig, schreibt Fachartikel und hält Vorträge über die Erkenntnisse ihrer Arbeit.

Dr. Johannes Mainusch (Mail)
ist als CTO der E-Post für den Erfolg in der Zukunft der Post verantwortlich.
Zuvor war er Leiter der Softwareentwicklung bei OTTO und bis April 2012 Vice President Operations bei der XING AG.
Der Artikel ist die Zweitveröffentlichung des gleichnamigen Artikels in der Fachzeitschrift "IT Management". Weitere Artikel findet Ihr in der Artikelübersicht.
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