Die International PHP Conference Spring 2014 findet im Juni 2014 statt. Tom Wießeckel vom PHP Magazin (PM) interviewte Judith Andresen über Kommunikation in Projekten. Diese wird auch auf der Konferenz sprechen.

PM: Judith, Du sagst, dass die Mehrheit aller IT-Projekte scheitert; aber Du sagst, dass mangelndes Wissen nicht der Grund dafür sei. Woran liegt es dann?
Judith: 70% aller klassich gemanagten IT-Projekte laufen aus mindestens einem der Parameter Zeit, Qualität und Budgt raus. Bei mit agilen Projektmethoden ist die Zahl etwas besser – aber immer noch schlimm.
Projektziele nicht zu erreichen, ist demotivierend. Das nervt die direkt Beteiligten. Gleichzeitig sind die IT-Abteilungen der Buhmann für Prozessfehler. „Die kriegen nichts hin“ heißt es dann, obwohl alle das gesamte System dazu beigetragen hat, dass das Projekt nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Das Scheitern eines Projekts beginnt sehr früh. Für viele Projekte sind die Grundfragen nicht geklärt. Über die Grundfragen „Wohin“, „Was“, „Wie“ und „Wer“ wurde schlicht zu wenig geredet.
Im laufenden Prozess fällt dann häufig noch „Wo stehen wir?“ und „Wie weit ist noch?“ unter den Tisch.
PM: Wo liegen die grundsätzlichen Probleme in der Kommunikation?
Judith: Über die Disziplin-Grenzen hinweg in einem Unternehmen zu kommunizieren, ist anstrengend. Die „Anderen“ haben andere Worte, andere Denkmuster und andere Prioritäten.
Das klassische Modell wirkt hier. Jede Disziplin ist hochspezialisiert in ihrer Domäne. Die Spezialisten über das Management orchestriert und zusammengeführt. Das fordert dann vom (Projekt-)Management den Gesamtüberblick – eine Forderung, an der der oder die Einzelne nur scheitern kann. Denn komplexe Probleme lassen sich nur in Teams lösen.
Zusammenarbeit in Teams klingt aber einfacher, als es ist. Damit das funktioniert, muss man viel zusammen tun und darüber reflektieren. Formal sind Teams eine der häufigsten Kooperationsformen in Unternehmen. Aber das sind meist nur Worthülsen. Echte Teamarbeit braucht Aufmerksamkeit und Zeit und Wertschätzung für alle Team-Mitglieder.
Wir tun gerne so, als wäre das Team inklusive der guten Kommunikation einfach da, wenn wir eine Gruppe von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zum Team erklären.
PM: Sind "Probleme mit der Kommunikation" etwas Neues? Kamen sie in dieser Intensität erst auf, nachdem sich agile Arbeitsweisen mehr und mehr durchgesetzt hatten, oder wurden alte Probleme dadurch erst richtig sichtbar?
Judith: Agile Projektmethoden – hier vorallem Kanban – decken im ersten Schritt häufig Problemfelder auf. Dem PDCA-Zyklus und Kaizen folgend erkennen die Teams ihre Schwachstellen. Kommunikation ist häufig eines der Themen, die als erstes während der agilen Transition benannt werden.
Das klassische Projektmanagement hat 50% der Zeit in Kommunikationsmanagement gesteckt. D.h. die Frage beantwortet, welche Informationen von wem zu wem fließen sollten und wer über was entscheiden sollte.
Dieser hohe Zeitaufwand ist von vielen nicht erfüllt worden. Wenn man agile Projektmethoden einführt, stellt man fest, warum das so ist. „Wir reden nur noch“, klagen viele Entwickler und Entwicklerinnen: „Wir arbeiten nicht mehr!“
Wir unterschätzen die Wichtigkeit einer fairen und transparenten Kommunikation. In einem Meeting zusammensitzen, ist (gefühlt) nicht so fordernd wie das Ausarbeiten schwieriger technischer Sachverhalte.
Wir stellen uns selbst eine Falle: wir nehmen Kommunikation auf die leichte Schulter – und nicht ernst. Das kommt dann wie ein Boomerang ins Projekt zurück.
PM: Ab wann sollte die intensive Kommunikation zwischen den Beteiligten starten? Beginnt das mit dem Projekt – oder fängt alles schon viel früher an?
Judith: Wann beginnt das Projekt? Mit dem Aufsetzen der Entwicklungsumgebung? Oder mit der Idee? Dem Prototypen? Das klassische Management hat den Projektbeginn in das Aufstellen des Plans verlagert. Je nach den Kommunikationsfähigkeiten des entsprechenden Projektmanagers oder der Projektmanagerin waren dann schon alle im Boot – oder eben auch nicht.
Agile Projektmethoden versuchen dieses Henne-Ei-Problem durch interdisziplinäre Teams zu lösen. Es sind alle dabei, die zur Lösung der Aufgabe nötig sind. Und alle reden miteinander. Das gilt für die sogenannte Entwicklungsseite genauso wie für „das Business“. Auch hier ist die tägliche Kommunikation gefordert.
Möglichst früh interdisziplinär reden, das erscheint mir sinnvoll zu sein. Dabei muss man aber darauf achten, dass man nicht zu viel Unruhe stiftet -- gerade wenn das Projektziel noch nicht sauber definiert ist. Für viele Kollegen und Kolleginnen ist so eine unklare, noch nicht definierte Gemengelage verwirrend und beängstigend.
Da hilft nur, den Scope noch kleiner zu schneiden. Es ist dann noch mehr „minimal“ des „minimum viable product“ gefragt.
PM: Wir bewegen uns ja viel im Web – und die Projekte werden hier oft von Teams aus der ganzen Welt gestemmt. Wie ist das dann mit verteilten Teams, die vielleicht noch in verschiedenen Ländern sitzen? Sind die unterschiedlichen Gesprächskulturen ein noch größeres Problem?
Judith: Problem würde ich das nicht nennen. Aber es gibt bei verteilten Teams einiges zu beachten.
Der persönliche Austausch ist wichtig. Videokonferenzen und Telkos müssen ins Repertoire genauso wie der Teamchat, der ständig mitläuft. Auch persönliche Treffen müssen sein. Die Leute müssen wissen, wie die anderen Team-Mitglieder so drauf sind. Das ist viel einfacher und wohl auch nur umfassend zu lernen, wenn man direkt miteinander zu tun hat.
Gleichzeitig haben die Teams für sich Wege zu definieren, wie Rituale wie das Daily StandUp und die Wandzeitung im verteilten Projekt funktionieren. Diese Methodenbausteine sind für die Statuserhebung und die Transparenz im Projekt sehr wichtig – also muss es eine Ausprägung geben, die auch verteilt funktioniert.
Parallel zum Umgang mit verteilten Teams zeigen sich dann – mindestens wenn andere Nationalitäten beteiligt – interkulturelle Unterschiede. Der Umgang mit Führung und Entscheidunge auch aber Kommunikationsnormen können sehr unterschiedlich sein.
PM: Wer muss sich dann in einem solchen Fall wem unterordnen? Oder geht es gar nicht um Unterordnung in dem Sinn?
Judith: Nein, es geht nicht um Unterordnung. Es geht darum, einen Weg im verteilten Team zu definieren. Dabei sind wir es nicht gewohnt, diese Erwartungen und Vorstellungen rund um Führung, Entscheidung und Kommunikation zu explizieren. In meiner Welt ist ja alles klar – und irgendwie glauben viele, dass ihre Vorstellungen und Erwartungen von allen geteilt werden.
Was es dann braucht, ist Reden, Verständnis füreinander entwickeln. Das Ausräumen von Mißverständnissen wird das Team effizienter machen. Es lohnt sich also, diese Arbeit zu leisten, die wie bereits gesagt nicht von allen als Arbeit wahrgenommen wird.
PM: Ist es einfacher, schriftlich zu kommunizieren?
Judith: Oh, nein. Es fühlt sich nur einfacher an. Weil ich mich als Sender oder als Senderin nicht mit der direkten Resonanz der Empfängerseite auseinander setzen muss. In vielen Fällen empfinden wir es auch als professioneller, wenn wir schriftlich kommunizieren.
Dabei geht aber die komplette non-verbale Kommunikation flöten. Die hilft uns im gesprochenen Wort, die gehörten Worte in den Kontext zu setzen und richtig zu verstehen.
Je schwieriger und hakeliger das Thema wird, desto wichtiger ist es, das direkte und persönliche Gespräch zu suchen. Die Ergebnisse sollte man schriftlich nachdokumentieren, um das festzuhalten. Aber: erst reden, dann schreiben!
PM: Aus deiner Erfahrung heraus: Wer hat mehr Probleme mit einer richtigen Kommunikation – Junge oder Alte? Männer oder Frauen? Oder ist das ein Problem, vor dem wir alle gleich sind?
Judith: Im Prinzip stellt die richtige Kommunikation für alle eine Herausforderung dar. Wir reden mit unseren Körpern und das gesprochene Wort. Und alles was wir hören, unterliegt bereits unserer Interpretation. „Entscheidend ist, was beim Empfänger oder der Empfängerin ankommt“ – die Konsequenzen aus diesem Lehrsatz zu leben erfordert viel Reflexion.
In den westlichen Ländern sind Frauen gesellschaftlich mehr dafür geprägt, kommunikative Dissonanzen zu erkennen. Gleichzeitig trauen sich nachwievor viele Frauen nicht, diese Erkenntnisse zu teilen.
Nach meiner Erfahrung lohnt es sich häufig, die Beurteilung der aktuellen Situation durch eine Frau einzuholen.
Insgesamt ist das offene Kommunizieren im Berufsalltag für die meisten Menschen ungewohnt. Wir haben jahrzehntelang trainiert, professionell zu sein. Professionell in dem Sinne, dass es sachlich-technisch auf der Arbeit zugehen sollte.
Entscheidend für den Projekterfolg ist aber, dass Teams sich kennen, trauen und vertrauen. Um da hinzukommen, gilt es, sich kennenzulernen. Dafür müssen wir reden, uns aufeinander zu bewegen.
Mit der agilen Welt ist ein neuer Anspruch, eine Wertschätzung für den Einzelnen und die Einzelne in das Arbeitsleben eingezogen. Das ist für uns alle Verheißung und Herausforderung zugleich!
PM: Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Wir sind gespannt, was wir auf der IPC noch alles von Dir lernen können.
Judith Andresen wird auf der International PHP Conference und der parallel statt findenden Webinale sprechen. Dieses Interview ist eine Zweitveröffentlichung. Erstmals erschien das Interview im PHP Magazin (online) am 15. April 2014.
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