Anhand des Cynefin-Frameworks lässt sich entscheiden, welche Projektmanagementmethode die passende für ein Projekt ist.
Das Cynefin-Framework
Das Cynefin-Framework hat der Wissenschaftler und Berater Dave Snowden 1999 im Kontext seiner Forschungen zu Wissensmanagement und Organisationsstrategie entwickelt. Damals war er Direktor des IBM Institute for Knowledge-Based Organizations und sein Modell sollte die tatsächliche (im Gegensatz zur verkündeten) Managementpraxis bei IBM abbilden. Snowden, der inzwischen das Beratungsunternehmen Coginitive Edge gegründet hat, versteht das Cynefin-Framework als praktische Anwendung der Komplexitätstheorie mit dem Ziel, Managementpraktiken zu verjüngen und Antworten für bislang ungelöste Probleme zu entwickeln. Das Wort cynefin selbst [gesprochen: kenifän] kommt aus dem Walisischen und lässt sich mit »Platz« oder »Habitat« übersetzen.

Das Cynefin-Framework unterscheidet die fünf Habitate Offensichtlich, Kompliziert, Komplex, Chaotisch und Unordnung, denen sich die meisten Projekten zuordnen lassen.
Je nachdem, in welchem Habitat ein Projekt angesiedelt ist, kann man entscheiden, welche Projektmanagementmethode den Anforderungen am besten gerecht wird. So funktionieren abgespeckte agile Workflows auch im offensichtlichen und komplizierten Habitat, während Wasserfallmethoden spätestens im komplexen Umfeld nicht mehr zu effizienten Ergebnissen führen.
Achtung: nicht die Inhalte mit dem Prozess verwechseln!
In manchen Fällen ist es sehr komplex, die inhaltliche Idee zu entwickeln, während der Gesamtprozess offensichtlich und klar zu gestalten ist. Falls das so ist, sollte man den Gesamtprozess im Wasserfall modellieren und die Inhalte entsprechend des komplexen Habitats teamorientiert entwickelt werden.
Offensichtliches Habitat
Im offensichtlichen Habitat gelten eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen; es gibt klare Aufgaben und einfach strukturierte Lösungen. Die drei Parameter Aufwand, Qualität und Budget sind gut zu beherrschen. Es gilt, das Muster hinter der Aufgabe zu erkennen und das passende Standardvorgehen auszuwählen. Das Anwenden einer Best Practice, also einer bewährten Verfahrensweise, macht das eigene Vorgehen effizienter. Bei Projekten im offensichtlichen Habitat bietet sich oft ein direktiver Führungsstil an. Eine mit einer Person besetzte Projektleitung kommt schnell zum Erfolg.
Da sich alle notwendigen Schritte einfach benennen und standardisieren lassen, bietet sich für das Projektmanagement in vielen Fällen ein Wasserfallmodell an. Entsprechend genügt häufig eine standardisierte ToDo-Liste in Excel oder ein webbasiertes Aufgabentool wie Wunderlist(Hausmeister*innenhinweis: existiert seit 2020 nicht mehr), Trello oder Any.Do.
AUFGABENMANAGEMENT: ToDo-Liste
METHODE Best Practice, Wasserfall
ABNAHME Am Ende des Projekt durch den Auftraggeber oder die Auftraggeberin
LERNZEITPUNKT: Lessons-Learned-Meeting
Kompliziertes Habitat
Im komplizierten Habitat sind die Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht offensichtlich. Entsprechend anspruchsvoll ist es, alle Prozessschritte im Voraus zu durchdenken – aber es ist möglich! Da in komplizierten Projekten die Standards nicht mehr in jedem Detail greifen, muss man die bekannten Verfahrensweisen anpassen. Im Prinzip ist aber jeder Prozessschritt bekannt. Bei der Strukturierung der Anforderungen kann das Wasserfallmodell helfen. Dabei genügen längere Ablaufpläne oder Listen in einer Tabellenverarbeitung. Etwaige Teilaufgaben beschreibt das Projektmanagement gesondert und führt sie in einem Gesamtplan zusammen. Damit er oder sie nichts aus den Augen verliert, ist der ständige Austausch über den Projektstand und die nächsten ToDos mit einer zweiten Person sinnvoll. In vielen Fällen setzen Unternehmen im komplizierten Habitat auf eine Projektleitung durch eine Juniorkraft, die regelmäßig mit einen erfahrenen Projektmanager beziehungsweise einer erfahrenen Projektleiterin den Fortgang evaluiert und diskutiert.
AUFGABENMANAGEMENT: Projektmanagementtool
METHODE: An den konkreten Fall angepasste Best Practice, Wasserfall/agil (Kanban)
ABNAHME: Bei langen Projekten mit Zwischenabnahmen der Gewerke, bei kürzeren Abnahme am Ende durch den Auftraggeber
LERNZEITPUNKT: Entsprechend den Abnahmezeitpunkten mit Fokus auf die Gewerke in Lessons Learned
Komplexes Habitat
Im komplexen Habitat schlägt die große Stunde des Teams und agiler Projektmethoden. Niemand kann zu Beginn eine vollständige Aufgabenliste erstellen, zumal es viele Einfluss- und Störfaktoren gibt. Im Laufe des Projekts entstehen Anforderungen, die beim Start noch nicht abzusehen waren. Bei solchen Projekten muss man den Projektverlauf ständig reflektieren und entsprechend reagieren. Aufgaben sind aufgrund der Entwicklung ständig neu zu priorisieren oder erstmalig zu definieren.
Bei komplexen Projekten empfiehlt sich die Aufgabendefinition im Team. Denn ein einzelner Kopf allein kann die Abhängigkeiten nicht mehr denken. Da alle jeweils einen bestimmten Bereich der Aufgabe besonders gut verstehen, kann das Team gemeinsam den besten Weg erproben.
Durch regelmäßige Kontrolle und Nachjustieren wächst das Projekt Zug um Zug. Dieses Vorgehen entspricht der japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie Kaizen, die den sogenannten PDCA-Zyklus (PDCA steht für Plan, Do, Check, Act) und damit das Streben nach ständiger Verbesserung ins Zentrum stellt. Durch regelmäßige Retrospektiven klärt das Team das Vorgehen, die genauen Prozesse und Methodenbausteine.
AUFGABENMANAGEMENT: Durch Produktverantwortliche priorisiertes Backlog mit User Storys oder Aufgabentickets
METHODE: agil, etwa SCRUM oder SCRUMban, einer Kombination von SCRUM und Kanban
ABNAHME: Regelmäßige Reviews der User Storys mit den Auftraggebern
LERNZEITPUNKT: Retrospektiven des interdisziplinären Teams, das dann seine Methode und die Aufgaben immer neu anpasst
Chaotisches Habitat
Im chaotischen Habitat haben revolutionäre Ideen ihren Ursprung. Es gibt eine ungefähre Vorstellung davon, was man erreichen will, aber nicht davon, wie man dorthin gelangen könnte. Es ist also Aufgabe des Teams, im Sinne der anfangs formulierten Vision zu handeln. Das Vorgehen im chaotischen Umfeld ist stark von Trial and Error geprägt. Hier helfen agile Projektmethoden wie XP (Extreme Programming), die auf Prototyping setzen und das kurzfristige Ausprobieren und Verwerfen von Ideen fordern.
In kurzen Abständen finden Reviews statt, um den Projektstand zu beurteilen und das Ziel zu hinterfragen beziehungsweise Aufgaben neu zu definieren. Da das gesamte Wissen des interdisziplinären Teams erforderlich ist, arbeiten die Teams für revolutionäre Neuentwicklungen vollständig selbstorganisiert. Die gleichberechtigten Teammitglieder entscheiden sich häufig für die Wahl und Ausprägung eines Prozesstreibers (z.B. für in der Rolle des SCRUM Masters in SCRUM).
AUFGABENMANAGEMENT: Durch Team priorisiertes Backlog mit User Storys
METHODE: Agil mit Fokus auf Prototyping
ABNAHME: Regelmäßige Reviews der User Storys mit den Auftraggebern
LERNZEITPUNKT: Retrospektiven des interdisziplinären Teams unter Einbindung der Auftraggeber (Anpassung von Ziel, Methode und Aufgaben)
Teil 1 2 3 | Dieser BlogBeitrag ist die Zweitveröffentlichung des gleichnamigen Artikels in der PAGE, der in der PAGE 10/2014 erschienen ist. Judith Andresen berichtet zusammen mit Angelika Eckert über passende Projektmethoden in Teams und Unternehmen. Der Text ist in der Zweitveröffentlichung geschlechtsneutral formuliert.
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