Eine gründliche Nachbesprechung des Projekts im Team deckt auf, was gut gelaufen ist und was nicht. Wir zeigen, wie ihr ein solches Debriefing strukturiert - und wie ihr mit dem „Elefanten im Raum“ umgeht.
Das Projekt ist durch. Nun gilt es, zu resümieren. Dass alles glatt ging, ist eher unwahrscheinlich.
"Fehler passieren. Man lernt daraus und entwickelt sich weiter."
Andreas Winter-Buerke, Geschäftsführer Beratung bei der Kommunikationsagentur Kolle Rebbe in Hamburg
Ein abschließendes Debriefing ist deshalb eine gute Investition. Das Ziel ist es, fachliche Probleme sowie Mängel im Projektverlauf oder in der Kommunikation aufzudecken, um nicht stets dieselben Fehler zu wiederholen: Das Team sollte mitnehmen, was gut war, und ändern, was nicht so toll gelaufen ist. Das müssen nicht immer weltbewegende Umbauten sein, häufig sind es eher kleine Entscheidungen oder Nichthandlungen, die große Nachwirkungen haben.
Sied Ihr dabei ehrlich und sprecht euch alle offen aus, reinigt ein solcher Abschluss auch die Luft im Team, fördert das Lernen und stärkt den Zusammenhalt und das Vertrauen. Also nicht vergessen, das Debriefing bei Projektkalkulationen – sofern es sich um einen Festpreis handelt – zu berücksichtigen. Der Vorteil, der sich für nachfolgende Vorhaben ergibt, rechtfertigt diese Kosten auf jeden Fall – egal, ob es sich um Agenturen mit agilen oder eher traditionell geprägten Arbeitsweisen handelt.
Die Moderation macht´s
Damit Debriefings nicht zu gemeinsamen Jammerrunden (ohne Kunden) und Jubelrunden (mit Kunden) verkommen, müssen sie moderiert werden. Der Gesprächsleiter oder die Gesprächsleiterin führt durch die sechs Phasen des Debriefings, wobei er oder sie die Stimmung der Beteiligten auslotet und sie unterstützt, offen, klar und wertschätzend miteinander zu kommunizieren. So trägt das Team zunächst alle den Projektverlauf betreffenden Fakten zusammen, analysiert und bewertet diese, um schließlich Learnings zu formulieren. Das Sammeln und Ordnen der Daten ist ein guter Ausgangspunkt für gemeinsame Erkenntnisse, denn wenn alle Beteiligten dieselben Informationen haben, kommen sie auch viel eher zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Chries McGoff, Gründer der strategischen Unternehmensberatung The Clearing in Washington, beschreibt die Rolle des Moderators folgendermaßen: „You can run the process. You can contribute to the content. Pick one.“
Dieses Prinzip gilt besonders für Debriefings: Der Gesprächsleiter oder die Gesprächsleiterin strukturiert den Prozess, trägt aber inhaltlich nichts dazu bei. Die Tiefe der Fehleranalyse kann er oder sie dabei bis zu einem gewissen Grad dem Team selbst überlassen.
Der Moderator oder die Moderatorin sollte sich in den Agenturabläufen auskennen, darf aber keinesfalls direkt in dem zu besprechenden Projekt mitgearbeitet haben, um die Ergebnisse nicht in seinem oder ihrem Sinn zu beeinflussen. Zudem muss er oder sie sich auf Augenhöhe mit den Führungskräften der Agentur und des Kunden befinden. Denn eine selbstbewusste Haltung ist entscheidend: Würde er oder sie meinen, dass Chefs und Chefinnen immer recht hätten und Kunden im Prinzip alles fordern dürften, könnte er oder sie nicht für eine Atmosphäre sorgen, in der die Beteiligten offen Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten suchen.
Gefragt ist auch ein gutes Gespür für den „Elefanten im Raum“. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es in jedem Projekt ein Problem gibt, das entweder nicht offensichtlich ist oder das niemand wirklich besprechen möchte. Dabei kann es sich auch um ein Gruppendenken handeln, das niemand infrage stellen will. Es ist Aufgabe des Moderators oder der Moderatorin, diese unausgesprochene Wahrheit auszusprechen und dabei auch die unterschiedlichen Perspektiven, Geschichten und Einstellungen der Beteiligten zu sondieren.
Der „Elefant im Raum“ ist eine Metapher für ein offensichtliches Problem, das aber keiner im Team an- und besprechen will. Taucht tatsächlich mal ein solcher Elefant auf, dann sollte er spätestens im Debriefing benannt werden. Erfahrenen Moderatoren haben ein Gespür dafür und können ein offenes Gespräch über ihn in Gang bringen.
Vertrauen ist die Basis
„Es muss alles auf den Tisch“ ist das Motto jedes Debriefings. Leichter gesagt als getan. Soll ich als Projektbeteiligter oder -beteiligte wirklich aus der Deckung kommen und etwas zur Sprache bringen, was vielleicht der/die Vorgesetzte aufgrund einer gewissen Entscheidungsschwäche verbockt hat? Und was tun, wenn der Auftraggeber oder die Auftraggeberin teilnimmt, seine/ihre Abnahmeprozesse aber letztlich für die Verzögerungen im Ablauf verantwortlich waren? Um derlei Probleme in den Griff zu bekommen, muss der Moderator oder die Moderatorin die Mitwirkenden auf ein „verletzliches Vertrauen“ einstimmen. Das heißt, keine Aussage darf jemals gegen einen anderen Teilnehmer oder eine andere Teilnehmerin verwendet werden. Ohne diese Vereinbarung schützen viele MitarbeiterInnen lieber den eigenen Status und machen sich nicht angreifbar. Teams, die mit Kunden auf Basis verletzlichen Vertrauens arbeiten, erhöhen erfahrungsgemäß den Erfolg des Projekts signifikant.
Häufig wird dem Team erst beim Debriefing bewusst, welchen impliziten Annahmen über das Verhalten der Gruppe oder gegenüber einzelnen Teammitgliedern es gefolgt ist – es herrscht das Gefühl, ein bestimmtes Verhalten sei „erwünscht“ oder „notwendig“. Also reagieren wir mit Automatismen: „Wenn Person XY seinen/ihren Projektleiter/in cc auf die Mail setzt, muss ich meinen Chef oder meine Chefin einschalten.“ So etwas ist oft aber gar nicht sinnvoll. Derartige Verhaltensweisen und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen sollten im Debriefing ins Bewusstsein geholt werden. Dabei gilt: Selbstkundgabe wird mit Selbstkundgabe beantwortet. Je mehr jedes Teammitglied von den eigenen Beweggründen preisgibt, desto mehr ziehen auch die anderen nach.
Meist ergeben sich schon durch die bloße Aufzählung der Fakten zum Projektverlauf Aha-Momente bei den Beteiligten. „Aber das war doch klar, das konnte ja garnicht gut gehen!“, heißt es dann, und es sprudeln nur so Ideen für mögliche Lösungen. Aber Achtung: Solche Schnellschüsse – von der Datensammlung direkt in die Lösung – beschäftigen sich häufig nicht mit den tatsächlichen Ursachen. „Jump to conclusion“ schafft keine echten Erkenntnisse. Ihr kommt nicht darum herum, nachzuvollziehen, warum dieses Problem aufgetreten ist. Dazu müssen die Beteiligten verstehen, welchen Mustern und Erwartungen sie gefolgt sind, welche Motivatoren für sie besonders wichtig waren und welche Umstände sie gemieden haben – das ist die Basis, um tragfähige alternative Hndlungsoptionen zu entwickeln. Indem sie gedanklich neue Möglichkeiten ausprobieren, können sie sich das nächste Mal aktiv für diesen Weg entscheiden. So lernt das Team Zug um Zug, dass schon kleine Verbesserungen positive Wirkung entfalten.
Oft argumentieren Teammitglieder so heftig, weil sie durch hohe Fragmentierungen der Arbeit nur einen Teilaspekt des Problems sehen und diesen für das Ganze halten. Das Debriefing muss diese Perspektiven sichtbar machen.
Grundregeln für ein erfolgreiches Debriefing
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Alle Key-Stakeholder einladen - auch den Kunden oder die Kundin.
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Agenda festlegen und das Meeting auf 120 Minuten begrenzen.
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Einen Moderator oder eine Moderatorin engagieren, der die Agenturabläufe kennt, aber nicht in das Projekt involviert ist.
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Kommunikationskultur etablieren: vertrauensvolle Atmosphäre, offenes Feedback, Argumentation im Ich, dem anderen zuhören (Smartphone aus!).
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Zum Abschluss zwei, maximal drei Learnings formulieren und diese sichtbar machen.
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Das Gespräch mit einem positiven Gefühl beenden, alle mit ins Boot holen und den Teamgeist stärken.
Nur zwei Learnings mitnehmen
Auch das beste Debriefing ist aber kein Garant dafür, dass die Erkenntnisse umgesetzt werden. Die Erfahrung hat gezeigt: Unbekannte und unbequeme Fakten brauchen sieben Wiederholungen und sieben Kanäle, bis sie ankommen. Es ist also bereits ein Erfolg, wenn beim nächsten Projekt schon zwei Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen infrage stellen, dass der Kunde schlicht blöd ist. Wenn dann ein weiterer oder eine weitere das Telefon zur Hand nimmt und beschließt, den Auftraggeber oder die Auftraggeberin anzurufen, um nach dem Grund für eine Änderung zu fragen oder ein Missverständnis auszuräumen, habt Ihr schon viel gewonnen.
Veränderungen brauchen ihre Zeit. Ihr solltet das Team nach dem Debriefing nicht mit einer langen Liste von Neuerungen überfordern. Sind es zu viele auf einmal, neigt der Mensch dazu, sie zu vergessen.
"Der Schlüssel liegt in der Regelmäßigkeit von Debriefings
oder auch von Feedbackrunden im laufenden Projekt"
(Sabrina Guretzki, Account Director bei der Digitalagentur Scholz & Volkmer in Berlin)
Deshalb hängen dort drei Learnings aus dem vorangegangenen Projekt gut sichtbar an der Kanbanwand im Projektraum.
Die sechs Phasen des Debriefings
Jedes Debriefing folgt einer festen Agenda. Bei agilen Arbeitsweisen ist die Retrospektive als Ritual fest verankert, aber auch im traditionellen Projektanagement sowie bei einer Post-mortem-Analyse nach Abbruch des Projekts solltet Ihr folgende Punkte berücksichtigen.
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Einen Rahmen geben
Der Moderator oder die Moderatorin verkündet die Gesprächsregeln für das Debriefing. Das kann eine Ansage sein wie: „Die nächsten zwei Stunden ohne Handy“ oder „Bitte argumentiert nicht im Du, sondern aus dem ich heraus!“. Der Moderator oder die Moderatorin erklärt sich zum Timekeeper der Veranstaltung. Eine Agenda zeigt den Teilnehmer und Teilnehmerinnen den zeitlichen Verlauf der gemeinsamen Sitzung.
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Die Stimmung aufnehmen
Für alle Beteiligten ist es hilfreich, die Gefühlslage der anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu kennen. Um ins Thema einzusteigen, könnte der Auftrag des Moderators oder der Moderatorin also lauten: „Beschreibe Deinen persönlichen Wetterverlauf im Projekt, endend mit dem heutigen Wetter.“
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Fakten zum Projektverlauf zusammentragen
Als Grundlage für die gemeinsame Analyse sammelt das Team mit dem Moderator oder der Moderatorin und dem oder der Verantwortlichen auf Kundenseite alle wesentlichen Eckdaten des Projekts auf Basis von Dokumentationen, E-Mails, Mitschriften et cetera. Orientierung bieten folgende Leitfragen:
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Welche intendierten Projektergebnisse gibt es? Wurde zum Beispiel das Ziel „Webseite entwickeln“ erreicht?
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Welche nicht intendierten Ergebnisse haben wir erzeugt? (zerstrittene Abteilungen beim Auftraggeber, Service verärgert, zu spät gestartete TV-Kampagne et cetera)
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Welche Maßnahmen haben wir vereinbart? Welche davon haben wir ausgeführt?
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Welche Entscheidungen wurden wann getroffen?
Ist das Projekt insgesamt nicht gut verlaufen, ist es sinnvoll, die Fakten auf einer Timeline festzuhalten. Dafür bereitet der Moderator oder die Moderatorin eine lange Pappwand vor, auf der die Monate oder Wochen der Projektdauer aufgeführt sind. Die Antworten auf die Fragen schreibt das Team auf Moderationskarten und pinnt sie an die einsprechende Stelle auf dem Zeitstrahl – so lassen sich die Probleme in Ihrer Entwicklung auf einen Blick fassen.
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Das Projekt verstehen
Von der Sammlung der Fakten geht es nun zu deren Bewertung und zum Verständnis . Erst in dieser Phase ordnen die Beteiligten alles ein, fragen zum Beispiel „Was war hilfreich?“ oder „Was hat uns geschadet?“. Nützlich ist auch, das Bauchgefühl zu verbalisieren („Warum hatten wir das erste Mal den Eindruck, dass es schieflaufen würde?“) und zu überlegen, woran sich das festmachen ließ. Hat das Projektteam vorab Key Performance Indicators (KPIs) definiert, ist zu fragen: „Welche Kennzahlen haben wir wie erreicht?“, „Ab wann wussten wir, dass wir die Kennzahlen erreichen/verfehlen würden? Woran ließ sich das erkennen?“
Die Fragen sind der Schlüssel für ein erfolgreiches Debriefing. Bei Bedarf sollte der Moderator oder die Moderatorin gezielt nachhaken und zum Beispiel fragen: „Wie viele Tage wären für das Projekt wirklich sinnvoll gewesen?“, „Und dann gab es also das Entscheidungsmeeting: Welche Beschlüsse sind dort gefallen? Welche hättet ihr vielleicht viel früher fassen müssen? Wäre es dann besser gelaufen?“
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Neue Handlungsoptionen entwickeln
Wenn das Projektteam sowohl die Fakten als auch die Schritte der Akteure verstanden hat, entwickeln entweder alle zusammen oder zunächst in kleinen Gruppen neue Handlungsoptionen. Um diese zu bewerten und zu priorisieren, solltet Ihr fragen:
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Ist diese Änderung besonders einfach einzuführen?
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Wie ist das Aufwand-Wirkungs-Verhältnis?
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Wie leicht ist diese Handlungsoption in den Projektablauf integrierbar?
Das Team vereinbart nur zwei bis maximal drei verbindliche Learnings. Debriefings mit einigen wenigen Beschlüssen haben letztlich einen größeren Hebel als Sitzungen mit ganz vielen. Bei zwei Vorsätzen haben die Beteiligten eine echte Chance, ihr Verhalten anzupassen und effizienter zu werden.
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Abschluss in Freundschaft
Am Ende des Debriefings sollten alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen Gelegenheit haben, zu sagen, mit welchem Gefühl sie aus der Runde gehen. Manche brauchen diesen Raum, um Erkenntnisse zu beschreiben, die sie überrascht haben, oder um Freude über einen guten Beschluss zu äußern. Hat während des gesamten Treffens ein wertschätzendes, offenes Klima geherrscht, nimmt jeder ein gutes Gefühl und echte Resultate mit nach Hause.
Dieser Text ist eine Zweitveröffentlichung des PAGE-Titelartikels (Ausgabe 08/2017) von Judith Andresen und Angelika Eckert. Der Artikel ist im Gegensatz zur Druckversion in der Du-Form und geschlechtsneutral formuliert.
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