Die agile Transition als Zaungast

In unseren Ausbildungen, Trainings und auch Coachings bringen wir Teilnehmenden stets bei:

  • Versucht die Veränderung in kleinen Schritten zu denken (Von der Magie der kleinen Schritte).
  • Macht das Komplexe für Euch händelbar - wenn Ihr das Große nicht erfassen könnt, sucht Euch den ersten kleinen Schritt, der händelbar ist.
  • Wenn Ihr einen Tanker bewegen wollt, schiebt ihn nicht an der langen Seite, sondern fragt Euch: An welcher Ecke könnt ich zuerst stupsen, damit er in Bewegung kommt?

Oft hilft es, wenn ein Transitionsteam sich zuerst auf einzelne Teilbereiche fokussiert. In diesen Teilbereichen werden neue Zusammenarbeitsformen verprobt, neue Prozesse ausprobiert -- in der Hoffnung hieraus Learnings ableiten zu können. Natürlich lassen sich Learnings nicht immer eins zu eins übertragen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Buchhaltung jemals genauso arbeiten wird wie eine Softwareentwicklung. Aber möglicherweise lassen sich Fehltritte aus den ersten Veränderungen in den folgenden vermeiden. 

Dieses Vorgehen birgt natürlich auch Risiken. Ein Risiko ist: Die Führungskräfte werden vergessen.

Der Umgang mit Veränderungen ist etwas sehr Individuelles. Die einen warten schon seit einer halben Ewigkeit, und es kann ihnen nicht schnell genug gehen. Die Anderen werden zunächst einmal unsicher und halten an alten Mustern fest.

 

Hier gilt zunächst ein Grundsatz: Jedes Handeln macht Sinn. Abhängig von den eigenen Motivatoren, den erlernten Mustern, den persönlichen Erfolgserlebnissen, dem sogenannten "eigenen Rucksack" ist jedes Handeln erst einmal als sinnhaft anzuerkennen.

In der agilen Transition verändert sich auf den ersten Blick oft erst einmal die Zusammenarbeit einzelner Teams. Vielleicht auch schon die Zusammenarbeit in Schnittstellen zwischen den Teams oder gar bereichsübergreifend. Wird ein Team selbstorganisierter, wird es dies dennoch niemals unabhängig vom vorherigen System werden.

 

Organisationen funktionieren ein bisschen wie ein Mobile: Wenn ich an einem Anhänger stupse, bewegt sich der Rest immer mit. Betrachte ich nun ein Team erst einmal als ein eigenes Mobile, um die Komplexität der Veränderung zu reduzieren, so wird sich die Zusammenarbeit eines Teams niemals unabhängig von den darum liegenden Mobile-Anhängern verändern.

Das heißt im Klartext: So klein Ihr die Komplexität auch schneidet, es werden auch immer Andere mittelbar oder unmittelbar betroffen sein. Insbesondere in Bezug auf die Selbstorganisation ist es von Bedeutung die Führungskräfte bewusst von Beginn an in den Veränderungsprozess mit einzubeziehen. Selbstorganisation ist niemals eine Einbahnstraße -- Delegationsgrade und die Übernahme von Aufgaben müssen individuell neu ausgehandelt werden.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Die Führungskräfte werden die operative Arbeit in einem agilen selbstorganisierten Team niemals direkt erleben. Sie sind ein Zaungast. Sie werden nicht als Teil des Experiments "mehr Selbstorganisation im Team" wahrgenommen. Stattdessen eher als Störfaktor wahrgenommen, dessen Aufgabe es maximal ist, die Veränderung zu ermöglichen und auszuhalten.

Natürlich erleben Führungskräfte immer, wie sich Zusammenarbeit verändert. Sie erleben aber auch, was es heißt, loszulassen. Sie erleben, was es heißt, mutig zu sein und Entscheidungen andere treffen zu lassen. Und sie erleben vor allem:

  • "Mein Team" kommt in Bewegung -- und was genau sind jetzt noch meine Aufgaben?
  • Was genau muss ich tun, damit das Team vorankommt?
  • Welche Entscheidungen sollte ich treffen, damit das selbstorganisierte Team funktioniert?
  • Und was ist der Vorteil für mich in der neuen Arbeitsweise?

All diese Fragen sind nicht trivial zu beantworten. Insbesondere dadurch nicht, dass die Führungskräfte die neuen Prozesse nicht so aktiv miterleben, wie es eben Teammitglieder tun. 

In der agilen Transition gilt es also: Führungskräfte einbinden.

Was spricht dagegen Teamleiter und Teamleiterinnen, Bereichsleiter und -leiterinnen beziehungsweise Vorstände von Anfang aktiv mit in den Veränderungsprozess miteinzubinden? Was spricht dagegen sie gemeinsam mit den Teams die agilen Prozesse in, zum Beispiel einem agilen Basistraining erlebbar zu machen? Und erst recht: Was spricht dagegen sich auch ihren Sorgen und Bedürfnissen zu widmen?

Ein selbstorganisiertes Team ist nicht identisch mit einem selbstgesteuerten Team. Auch ein Fußballteam senden wir nicht ohne Trainer oder Trainerin auf den Platz. Auch in selbstorganisierten oder agilen Teams gibt es weiterhin Aufgaben, die von einer Führungskraft übernommen werden (müssen).

Ob diese Führung dabei hierarchisch oder lateral geprägt ist, gilt es in der agilen Transition durch Experimente und Verprobung herauszufinden. Vielleicht hilft es im ersten Schritt anzuerkennen, dass Führung grundsätzlich erst einmal nichts Negatives ist, sondern positive Entwicklung aktiv fördern kann.

Das Ausblenden der weiteren Notwendigkeit von Führung erschwert Teams und Führungskräften die Entwicklung zu einer sich gegenseitig wertschätzenden und produktiven Zusammenarbeit.


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